Ein Mittel, das optimal töten soll

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Mifegyne: Heftige Debatten um die Einführung dieses Abtreibungsmittels in Österreich. Dazu ein Gespräch mit einem medizinischen Experten.

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Mifegyne: Heftige Debatten um die Einführung dieses Abtreibungsmittels in Österreich. Dazu ein Gespräch mit einem medizinischen Experten.

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dieFurche: Was erwartet uns, falls Mifegyne in Österreich eingeführt wird?

Johannes Bonelli: Ich kann als klinischer Pharmakologe nur grundsätzlich sagen, daß hier bereits eine Grenze überschritten wurde. Die pharmazeutische Industrie und die Behörden sind bei der Einführung von Medikamenten bisher primär darauf bedacht gewesen, daß die Medikamente helfen und auch nicht schädigend sind, sodaß ihre Einführung vertretbar ist. Auch war Österreich bisher dafür bekannt, daß es bei der Zulassung von Medikamenten eher zurückhaltend war. Hier würde man erstmals ein Tötungsmittel einführen. Man kann bei Mifegyne auch nicht von einem Medikament sprechen, bestenfalls von einer "Substanz". Es käme hier zur Einführung eines Mittels, das optimal töten soll. Die pharmazeutische Industrie hat ein Präparat entwickelt, das nicht hilft, sondern darauf ausgerichtet ist, gesundes Leben zu töten.

dieFurche: Ist die Grenze, die Ihrer Meinung nach überschritten würde, in erster Linie eine ideologische Grenze?

Bonelli: Nein, überhaupt nicht, denn es ist wissenschaftlich erwiesen, daß mit dieser Substanz menschliches Leben getötet wird. Ein befruchtetes Ei ist immer ein Mensch und keine Kaulquappe.

dieFurche: In diesem Zusammenhang wird heute in gynäkologischen Fachkreisen auch differenziert zwischen dem Leben eines Embryos vor der Entwicklung seines zentralen Nervensystems und "einer anderen Qualität des Lebens" ab dem Zeitpunkt der Entwicklung eben dieses Nervensystems, um die vorverlegte Frist der Abtreibung durch die neue Pille zu rechtfertigen.

Bonelli: Man kann sicher zwischen verschiedenen Qualitäten des Lebens unterscheiden. Aber auch jene Kollegen, die dieser Meinung sind, können nicht bestreiten, daß es sich hier um Lebewesen handelt, die getötet werden, wobei die Bezeichnung Medikament gar nicht zutreffend ist, denn diese Substanz ist nicht geschaffen worden, um Menschen zu heilen. Schwangerschaft ist ja keine Krankheit, und der Embryo kein Geschwür, er ist ein Lebewesen. Rein medizinisch gesehen ist die befruchtete Eizelle ein Mensch, wie immer seine Qualität auch sein mag. Ein Tötungsmittel kann also niemals den Namen Medikament tragen.

dieFurche: Professor Johannes Huber, der Leiter der Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie der Wiener Universitätsfrauenklinik, sprach im Zusammenhang mit der möglichen Einführung der Abtreibungspille in Österreich davon, daß sie "ein weiterer Schritt zur Relativierung des Lebens" sei. Andererseits meint Huber aber auch, daß es begrüßenswert wäre, wenn sich eine Frau durch Mifegyne die blutige Curettage erspart.

Bonelli: Stimmt, es ist eine Relativierung. Die Erleichterung für die Mutter kommt mir ungefähr so vor, als wenn man sagt, man legt der Panzerknackerbande Schutzhandschuhe vor den Tresor, damit sie sich beim Knacken nicht weh tun.

dieFurche: Sollte das neue Präparat in Österreich auf den Markt kommen - man spricht von einem möglichen Termin Ende 1999 -, welches Szenario haben wir dann zu erwarten?

Bonelli: Sollte es in Apotheken frei erhältlich sein, so wird das meiner Meinung nach einer Katastrophe gleichkommen, denn Frauen werden nicht nur intensiv gefährdet sein, es wird auch die Hemmschwelle zur Abtreibung drastisch sinken. Frauen werden noch mehr unter Druck geraten, denn im Grunde genommen wird es sich um eine "Pille für den Mann" handeln. Heute muß die Frau dazu gedrängt werden, einen operativen Eingriff an sich vornehmen zu lassen, wenn sie die Schwangerschaft beenden will. In Zukunft wird es nur eine Pille sein, die das erledigt. In dieser Hinsicht sehe ich das Präparat als "Pille gegen die Frau". Man muß sich auch vorstellen, daß Frauen die Pille selbst einnehmen müssen. Kein Mann, kein Arzt wird in Zukunft den endgültigen Akt der Tötung setzen. Es wird die Frau selbst sein, die diese Entscheidung treffen muß. Die Symptome des "post-abortion-syndroms" werden sich für Frauen daher entsprechend verstärken.

dieFurche: Die Abtreibungspille kann bis zum 49. Tag der Schwangerschaft angewendet werden. Die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch muß also viel früher und rascher getroffen werden.

Bonelli: Ja, die Frau hat dann noch weniger Zeit zum Überlegen, die Beratung wird kaum mehr zum Tragen kommen. Zwischen der Einnahme der ersten Pille und dem Abortus vergehen einige Tage, in denen Frauen ihre bereits unwiderruflich getroffene Entscheidung - auch bei auftretenden Zweifeln - nicht mehr rückgängig machen können. Erfahrungen aus England und Frankreich haben gezeigt, daß dieses Erlebnis zu zusätzlichen Traumatisierungen führt. Und auch mit diesen Erlebnissen werden Frauen in Zukunft alleine fertig werden müssen.

dieFurche: Was geschieht aus medizinischer Sicht bei der Einnahme der Abtreibungspille und beim darauffolgenden Abortus?

Bonelli: Die Pille bewirkt, daß die Ernährung des Embryos nicht gewährleistet wird. Die Substanz der Pille blockiert die Wirkung des Hormons Progesteron. Somit wird der eingenistete Embryo nicht ernährt und stirbt ab. Nach zwei Tagen wird ein Prostaglandin verabreicht, um den Embryo auszutreiben. Die Möglichkeit, daß das nicht funktioniert und daß der Embryo lebend ausgetrieben wird, ist auch gegeben. Ebenso die Gefahr, daß Frauen das Mittel erst zu einem späteren Zeitpunkt der Schwangerschaft einnehmen, womit sich auch das medizinische Risiko erhöht. Es wird nicht nur dem Mißbrauch Tür und Tor geöffnet sein, man weiß heute ja auch noch nicht, welche Spätschäden es durch Mifegyne für Frauen geben kann. Als klinischer Pharmakologe meine ich, daß die heute weitgehend unbekannten Folgewirkungen nicht zu unterschätzen sind.

dieFurche: Kann man in Zeiten des Pillen-Booms von den Menschen erwarten, daß sie einer neuen Pille kritisch gegenüberstehen?

Bonelli: Ich sehe hier eine gewisse Schizophrenie im Denken unserer Mitmenschen. Auf der einen Seite fürchtet man genmanipulierte Produkte, auf der anderen Seite werden hochpotente Pillen sorglos eingenommen, bei denen auch die Langzeitwirkungen so gut wie unbekannt sind. Ich sehe das als Phänomen einer Gesellschaft, die unkritisch auf maximalen Lustgewinn bedacht ist. Die Folgen des Genusses sollen nach Möglichkeit ausgeschaltet werden. Zusätzlich sehe ich im Einsatz der Abtreibungspille auch die grundsätzliche Infragestellung der Menschenrechte. Mit der Abtreibungspille kann es möglich werden, daß der Stärkere den Schwächeren - der zudem auch keine Lobby hat - beliebig eliminiert.

dieFurche: Wie kann man jenen Frauen helfen, die durch eine Schwangerschaft in schwere soziale Konfliktsituationen geraten?

Bonelli: Die Gesellschaft und der Staat sollen natürlich Frauen in Notsituationen beistehen. Sie müssen so unterstützt werden, daß sie und ihre Kinder existenzfähig werden. Sei es durch verbesserte Kinderbeihilfe, durch Mutterschutz auch für Frauen, die vorher nicht gearbeitet haben oder durch Erleichterung und Aufwertung der Adoption. Es ist absurd, wenn der Staat versucht, durch Einführung eines Tötungsmedikaments anstehende Probleme zu lösen, denn Problemlösung durch Tötung ist eine moralische Bankrotterklärung.

Das Gespräch führte Angela Thierry.

Zur Person Internist, Pharmakologe und Experte für bioethische Fragen Johannes Bonelli ist am 10. Juli 1944 in Dresden geboren. Maturiert hat er 1962 im oberösterreichischen Schärding. Sein Medizinstudium absolvierte er in Innsbruck, wo er im Juli 1969 auch promoviert hat. Daran schloß sich eine Tätigkeit als Sekundararzt in St. Johann im Pongau. Von März 1971 bis Dezember 1979 war er als Assistent an der I. Medizinischen Universitätsklinik in Wien tätig.

Er ist Facharzt für Innere Medizin, Klinische Pharmakologie und Kardiologie und leitet derzeit die interne Abteilung des Krankenhauses St. Elisabeth Wien.

Seit seiner Habilitation 1980 ist er a.o. Univ.-Prof.für Innere Medizin, seit 1990 Direktor des"Imabe"-Instituts für medizinische Anthropologie, Bioethik und Herausgeber der Zeitschrift "Imago Hominis" und derzeit Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Klininische Pharmakologie und Therapie. Johannes Bonelli ist mit Gertraud Bonelli verheiratet und Vater von fünf Kindern.

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