Statistik zu Schwangerschaftsabbrüchen: Transparenz als Tabubruch

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Bis heute gibt es in Österreich zu Schwangerschaftsabbrüchen keine seriösen Daten. Die "Aktion Leben" fordert endlich Fakten.

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Bis heute gibt es in Österreich zu Schwangerschaftsabbrüchen keine seriösen Daten. Die "Aktion Leben" fordert endlich Fakten.

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Stricknadeln und Kleiderbügel, daneben Metallspritzen oder die - für Kind und Mutter lebensgefährliche -Paste "Interruptin": All das und viel mehr findet sich im "Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch" am Wiener Mariahilfergürtel. Rund 2000 Objekte hat der Wiener Gynäkologe Christian Fiala nach Auslandsjahren in Frankreich, Thailand, Uganda, Tansania und Malawi gesammelt, um sie öffentlich zu präsentieren - "ohne zu werten", wie es heißt.

Gleich vis-à-vis des Museums, in Fialas Ambulatorium "gynmed", zeigt die Praxis des Schwangerschaftsabbruchs hingegen ihr modernes Gesicht: helles Holz, frische Blumen, bunte Sofas. Fünf Frauen warten in verschiedenen Zimmern darauf, aufgerufen zu werden, zwei in männlicher Begleitung. Um 490 Euro stehen ihnen drei Methoden zur Auswahl: ein Abbruch mit dem Medikament "Mifegyne", der ein paar Tage dauert und bis zur neunten Woche möglich ist; ein chirurgischer Abbruch in örtlicher Betäubung; oder einer in Vollnarkose. "Sie übergeben die Kontrolle über Ihren Körper für eine kurze Zeit", heißt es in einem Informationsblatt. "Wenn Sie aufwachen ist alles vorbei."

Diskussionshemmende Daten?

Mehr als 60 Prozent der Patientinnen entscheiden sich für diese Variante, erklärt Fiala später in einem Besprechungsraum, 33 Prozent wählen "Mifegyne". Und auch sonst liefert der Mediziner gerne statistische Daten - zumindest über jene "gynmed"-Ambulanz, die er seit 2006 im Salzburger Universitätsklinikum betreibt. Von den 807 Frauen, die dort im Jahr 2012 einen Abbruch vornehmen ließen, hatten etwa 45 Prozent im Vorfeld gar nicht und 37 Prozent mit Kondom verhütet. 43 Prozent der Frauen hatten keine Kinder, 19 Prozent ein Kind und 25 Prozent zwei Kinder. Was das Alter betrifft, so war etwa ein Zehntel jünger als 19 Jahre. Die Verteilung hier in Wien sei ganz ähnlich, sagt Fiala. Wieviele Abbrüche er hier vornimmt, will er jedoch nicht sagen: "Das hilft der Diskussion nicht weiter."

"Aktion Leben Österreich" sieht das anders: Um überhaupt seriös über dieses hochsensible Thema diskutieren und Frauen in Konfliktsituationen bedarfsgerecht unterstützen zu können, seien endlich aussagekräftige Daten nötig - und zwar nicht nur solche, die von den einzelnen Instituten nach Belieben veröffentlicht oder zurückgehalten werden könnten. Damit es in Österreich endlich eine bundesweite, anonymisierte Abbruchstatistik sowie eine wissenschaftliche Erforschung der Gründe für Abbrüche gibt, hat "Aktion Leben" die Bürgerinitiative "Fakten helfen!" initiiert. "Nicht über Abtreibungen zu reden bedeutet, Frauen im Schwangerschaftskonflikt im Stich zu lassen", appelliert Generalsekretärin Martina Kronthaler an die Politik (weitere Infos unter www.fakten-helfen.at).

Dass es möglich ist, durch Prävention und positive Maßnahmen die Zahl der Abbrüche zu senken, habe sich in Deutschland gezeigt: Hier liege die jährliche Abbruchrate unter je tausend Frauen im gebärfähigen Alter mittlerweile bei 5,9 (vgl. Grafik). Noch weniger Schwangerschaftsabbrüche gibt es in der Schweiz - das ebenfalls über eine Statistik verfügt. Österreich hingegen ist neben Luxemburg das einzige EU-Land ohne gesicherte Faktenlage. Die Schätzungen reichen von 20.000 bis 60.000 Abtreibungen jährlich - wobei es selbst bei niedrigster Schätzung doppelt so häufig zu Abbrüchen kommen würde wie in Deutschland. Christian Fiala selbst geht von etwa 30.000 Schwangerschaftsabbrüchen aus -hochgerechnet von der Zahl der abbrechenden Ärzte, dem allgemeinen (schlechten) Verhütungsverhalten und der Situation im Bundesland Salzburg, wo es rund 900 Abbrüche gebe.

Was spricht also gegen eindeutige Zahlen? Laut Christian Fiala prinzipiell nichts - nur sei es eine "Illusion", durch eine bloße ärztliche Meldepflicht in diesem tabuisierten Bereich zu validen Daten zu kommen. "Das Beispiel der Meldepflicht für Syphilis und Gonorrhoe zeigt, dass sich viele Ärzte in der Praxis nicht daran halten", meint der Mediziner. Eine "wirklich objektive Erhebung" sei nur dann möglich, wenn der Abbruch für alle von den Krankenkassen bezahlt würde. Folglich seien auch die deutschen Daten nur unvollständig, schließlich würden dort nur Abbrüche von Frauen finanziert, deren Nettoeinkommen unter tausend Euro liegt.

Evelyn Laue, im Deutschen Statistischen Bundesamt für die Schwangerschaftsabbruchstatistik zuständig, dementiert diesen Vorwurf: "Wir gehen davon aus, dass unsere Statistik so vollständig ist, wie man es von einer Primärerhebung unter Ärzten erwarten kann", sagt sie der FURCHE. Auch Karl Forstner, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer, kontert: "In der plastischen Chirurgie ist ebenfalls nicht alles eine Kassenleistung, und ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass sich die Ärzte nach den gesetzlichen Vorgaben richten." Ohne zugrundeliegende Daten zu arbeiten, sei jedenfalls "vormodern und unwissenschaftlich."

Was aber ist mit der zweiten Forderung von "Aktion Leben", nämlich Frauen im Rahmen einer regelmäßigen, wissenschaftlichen Studie freiwillig und anonym zu befragen, aus welchen Motiven sie sich für oder gegen ihr Kind entschieden haben? Auch hier zeigt sich Fiala kritisch: Seit Einführung der Fristenregelung 1973 habe es sechs Motiv-Studien gegeben. "Das Problem ist nicht, dass wir nicht wüssten, was zu tun wäre", sagt er. "Das Problem ist, dass wir die notwendigen Maßnahmen aus politischen Gründen nicht umsetzen können - wie die Diskussion über Verhütung auf Krankenschein oder eine fundierte Sexualkunde in der Schule zeigt."

Weniger Abtreibungen durch Gratispille?

Eine bessere, schulische Sexualpädagogik fordert auch die "Aktion Leben" seit langem - etwa durch externe Institutionen, die das heikle Thema nicht nur aus biologischer Perspektive behandeln, sondern auch persönlichkeitsbildend wirken soll. Einen zwingenden Zusammenhang zwischen Verhütung auf Krankenschein und den Abtreibungszahlen sieht man indes nicht: So gebe es in der Schweiz keine Gratisverhütung - und die niedrigste Abbruchrate Europas. Auch die jüngste Studie "Wenn Verhütung misslingt " des Salzburger Frauengesundheitszentrums ISIS habe gezeigt, dass die Kosten nur begrenzt ursächlich seien, warum nicht oder unzureichend verhütet wird. Von 543 Frauen, die nach einem Abbruch befragt wurden, gaben 43,1 Prozent eine Ablehnung von Hormonen an, 20,5 Prozent sagten "Sex ohne Verhütung ist für meinen Partner lustvoller" und 18,5 Prozent "Ich rechnete nicht damit, Sex zu haben". Auch Ambivalenzen gegenüber einer möglichen Schwangerschaft spielten eine große Rolle.

Eine komplexe Gemengelage. Können hier "Fakten helfen"? Christian Fiala zweifelt: Die Forderungen der Bürgerinitiative seien "wirkungslos und aktionistisch". Bei "Aktion Leben" sieht man das - einmal mehr - anders:"Seriöse Daten werden von der Politik nicht gewünscht, weil sich das Thema dann nicht mehr so leicht ideologisch verwenden ließe. Dann ginge es nämlich plötzlich um Maßnahmen, die es Frauen erleichtern können, ihre Kinder zu bekommen. Und es gäbe eine Erfolgskontrolle. Doch genau das möchten wir erreichen - im Interesse von Frauen und Kindern."

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