Verbindend - © Pexels / Johannes Plenio

Angelika Kampfers "Aufgenommen" erzählt aus dem Leben mit Down-Syndrom

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Rund 12.000 Menschen leben in Österreich mit Trisomie 21, mit der Diagnose Down-Syndrom. Welche Folgen hat dieser Befund für ihre Familie? Eine Tagung in St. Virgil Salzburg und ein Bildband haben dieser Frage nachgespürt.

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Rund 12.000 Menschen leben in Österreich mit Trisomie 21, mit der Diagnose Down-Syndrom. Welche Folgen hat dieser Befund für ihre Familie? Eine Tagung in St. Virgil Salzburg und ein Bildband haben dieser Frage nachgespürt.

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„Es ist, was es ist, sagt die Liebe. Es ist dasselbe Menschlein, das es vor der Geburt war - auf das wir uns alle gefreut haben, bevor jemand ein 'Syndrom' diagnostizierte. Da sitze ich und beobachte mein Mäderl im Inkubator - angeschlossen an alle möglichen Geräte. Ein Würmchen voller Schläuche."

Die Erfahrungen, die Andrea Wurzer in dem neuen Buch "Aufgenommen - Leben mit Down-Syndrom" schildert, haben schon viele Eltern erlebt: Auf 600 bis 700 Geburten kommt in Österreich ein Kind mit Down-Syndrom. Nach Schätzungen - eine offizielle Statistik fehlt - leben hierzulande zwischen 10.000 und 12.000 Menschen mit dieser Diagnose.

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Was ein solcher Befund für die einzelnen Familien bedeutet, hat die österreichische Fotografin Angelika Kampfer über zwei Jahre lang recherchiert und im Buch "Aufgenommen" mit berührenden Fotos dokumentiert. Ein Kompendium, über das sich der Villacher Gynäkologe Janos Gellen freut: "Endlich habe ich Material, das ich Eltern bei ihrer Entscheidungsfindung anbieten kann." Das Buch zeigt Bilder von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Down-Syndrom, die "doch geboren werden".

Die Mehrheit wird es freilich nicht: Tatsache ist, dass es die neuen Methoden der Pränataldiagnostik möglich machen, 90 Prozent der betroffenen Kinder bereits in der Frühschwangerschaft zu erkennen. Bis zu 95 Prozent der Eltern entscheiden sich in einem solchen Fall für einen Schwangerschaftsabbruch. Anders Linde F.: "Während der Schwangerschaft haben wir die Diagnose Down-Syndrom erfahren - damit konnten und können wir leben", erzählt sie. Gemeinsam mit ihrer zehn Monate alten Tochter nahm sie am vergangenen Wochenende an der ersten Down-Syndrom Tagung im Bildungshaus St. Virgil in Salzburg teil.

Loslassen ist eine Herausforderung

Doch was ist eigentlich unter Down-Syndrom zu verstehen? Ist es eine Behinderung, wie der Mediziner Janos Gellen betont? Oder aber werden Menschen mit Trisomie 21 (so das Synonym für Down-Syndrom) unterfordert und erst dadurch behindert - eine Theorie, der die Münchner Humangenetikerin Sabine Stengel-Rutkowski anhängt (siehe Interview)? So breit gefächert wie die Interpretationen sind die Unsicherheiten der Eltern. Auch in Salzburg sind die Selbstzweifel groß: "Habe ich richtig gehandelt?", fragt sich eine Mutter. "Ich habe mein Kind in der Sonderschule angemeldet. Jetzt habe ich viel von Integrationsklassen gehört. War meine Entscheidung falsch?"

Christian hat Trisomie 21, aber er ist ein Erwachsener und findet sich hier sehr gut zurecht.

Christa Polster, Mutter

Die Angst, nicht das Beste für das Kind getan zu haben, bedrückt viele Eltern. Schwierigkeiten, Kinder loszulassen, sind freilich nicht spezifisch für Eltern von Jugendlichen mit Down-Syndrom. Und trotzdem scheinen die Probleme in diesem Fall anders gelagert zu sein - wie ein Beispiel aus Salzburg demonstriert: Da tritt der Schauspieler und Tänzer Christian Polster, bekannt aus Niki-List-Filmen wie "Mein Boss bin ich", "Muss denken" oder "Mama lustig?" auf und wird um ein Interview gebeten.

"Ich bringe Ihren Sohn danach zurück", versichert ein Reporter der Mutter des 34-jährigen Künstlers. "Das müssen Sie nicht, er hat Trisomie 21, aber er ist ein Erwachsener und findet sich hier sehr gut zurecht", erwidert sie. Ähnliche Erfahrungen stehen bei Christa Polster auf der Tagesordnung: "Das erlebe ich ständig, dabei muss ich selbst an mir arbeiten, Christian loszulassen."

Laut "nein" sagen lernen

Down-Syndrom-Kinder - so das Vorurteil - sind distanzlos, lieb und freundlich. Umso drängender ist die Frage nach authentischen Gefühlen und Grenzen, gerade im Umgang mit Fremden: "Wie können sich Kinder mit Down-Syndrom wirkungsvoll wehren, wenn sie von Fremden umarmt oder gestreichelt werden?", stellt die Behindertenpädagogin Etta Wilken aus Hannover zur Diskussion. "Wir müssen mit diesen Kindern das laute Nein üben."

Wilken rückt auch andere Vorurteile zurecht, wie etwa jenes, dass Übergewicht zum "Krankheitsbild" von Kindern mit DownSyndrom gehöre: "Wir müssen den Kindern Grenzen setzen, auch beim Essen." Tatsächlich haben zwei Drittel der Mädchen und Frauen mit Down-Syndrom Übergewicht - die Hälfte davon ist extrem übergewichtig. Damit zurechtzukommen fällt gerade Jugendlichen schwer, weiß Wilken und zitiert aus einem Aufsatz einer 18-Jährigen: "Ich würde mich gerne fühlen wie meine Schwester - mega sexy, mega cool."

Aufgenommen - © Böhlau Verlag
© Böhlau Verlag
Buch

Aufgenommen - Leben mit Down-Syndrom

Von Angelika Kampfer,
Wien, Böhlau Verlag 2003,
112 Seiten, 170 Abbildungen, € 29,90

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