Riskanter Blick ins mütterliche Blut

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Über mangelnde Auslastung kann man bei LifeCodexx nicht klagen: Rund 2000 Blutproben von Schwangeren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz hat das Konstanzer Unternehmen mit seinem "PraenaTest“ bislang analysiert. Reste kindlichen Erbmaterials im mütterlichen Blut machen es möglich, bereits ab der zwölften Schwangerschaftswoche Störungen des Chromosomensatzes zu diagnostizieren: Nach den Trisomien 13 (Pätau-Syndrom) und 18 (Edwards-Syndrom), bei denen das Kind höchstwahrscheinlich noch während der Schwangerschaft oder in den ersten Lebensjahren stirbt, wird ebenso gefahndet wie nach der vergleichsweise harmlosen Trisomie 21 (Down-Syndrom).

Diskrepanz zwischen öffentlichem Spital und Privatinstitut

Seit August vergangenen Jahres ist der 1250 Euro teure PraenaTest auch in Österreich zugelassen. Wie viele der 2000 Blutproben von österreichischen Patientinnen stammten, kann man bei LifeCodexx nicht beziffern. Fest steht, dass zwei Grazer und vier Wiener Einrichtungen den Test offiziell anbieten, darunter die von Peter Husslein geleitete Universitätsfrauenklinik am Wiener AKH sowie sein Pränataldiagnostikzentrum "FetoMed“. Während der Bluttest im öffentlichen Spital bisher erst acht Mal zum Einsatz kam, wurde er in Hussleins Privatinstitut bereits 70 Mal angewendet. "Hier zeigt sich die Diskrepanz zwischen privater und öffentlicher Medizin“, erklärt der Gynäkologe (siehe auch Interview). Im AKH nutze (und finanziere) man den Test erst ab einem Trisomie-Risiko von 1:250, ab dem man Patientinnen gewöhnlich eine invasive Chorionzottenbiopsie (mit einem Fehlgeburtsrisiko von 1:200) nahelegt. Ist der Test negativ, erspare man sich diesen riskanten Stich in den Bauch. "In der Privatmedizin hingegen sagen schon Frauen mit einem Risiko von 1:800, dass sie lieber 1250 Euro zahlen, um Gewissheit zu haben“, so Husslein. Zwei Wochen müssen sie auf das Ergebnis warten. Ein neuer Test der US-Firma "Ariosa“ soll bereits deutlich schneller und billiger sein.

"Genetische Defekte hat jeder von uns“

Die Visionen der Humangenetiker gehen indes noch viel weiter: Erst vergangenen Jänner hat ein Forscherteam um Richard Rava von der kalifornischen Gendiagnostikfirma Verinata Health im American Journal of Human Genetics ein neues Verfahren vorgestellt, mit dem auch kleine Verluste oder Vervielfachungen der Erbinformation aufgespürt werden können. Solche Copy Number Variants (CNV) gelten als Ursache für eine Vielzahl körperlicher Fehlbildungen, darunter autistische Erkrankungen, geistige Behinderungen oder Formen der Schizophrenie.

"Gerade bei Autismus gibt es zahlreiche Ursachen, man kann das nicht auf ein einzelnes Gen reduzieren“, relativiert hingegen Berthold Streubel, Humangenetiker am Wiener AKH. Vom (Horror-)Szenario, künftig anhand eines mütterlichen Blutstropfens im kindlichen Genom wie in einem Buch zu lesen, sei man weit entfernt: "Selbst wenn man das Genom durchsequenziert, wird man nie alle genetischen Erkrankungen ausschließen können“, stellt er klar. Der Bedarf an genetischer Beratung wird dessen ungeachtet steigen. Die Frage wird sein: Was ist noch gesund? Und was schon krank und behindert? "Genetische Defekte“, so der Humangenetiker Streubel, "die hat schließlich jeder von uns.“ (dh)

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