"Lügen uns in die Tasche"

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Es ist nach Reportagen und Berichten zu schließen einer der schrecklichsten Orte der Welt, die Mülldeponie von Agbogbloshie in Ghana. Zwei Dokumentarfilmer haben sich aufgemacht, diesen Ort zu erforschen -und wurden überrascht. Ist Weltrettung auch in Agbogbloshie möglich? Die FURCHE hat nachgefragt.

DIE FURCHE: Einen Film über die größte Elektromülldeponie der Welt als Teil eines Schwerpunkts zum Thema Weltrettung zu nehmen, mag kurios erscheinen. Aber bevor man die Welt retten kann, muss man sie kennen. Sie beide kennen sie nun, was ist ihr Fazit zu einem Ort, den die dort Lebenden selbst Sodom nennen?

Christian Krönes: Sodom ist das Spiegelbild zur Welt. Der digitale Sündenfall der ersten Welt. Die hässliche Kehrseite der Wegwerfgesellschaft. Und die beiden Orte bedingen einander. Ohne unsere Form von Wohlstand gäbe es Sodom nicht. Es zeigt sich darin das große Problem der Menschheit: die Gier wird sich solange fortsetzen, bis auch die letzte Ressource ausgebeutet sein wird. Wir leben in einer Zeit der noch nie da gewesenen Entsolidarisierung, die letztlich auch zu unserem Ende führen kann. Ich bin, was die Rettung der Welt betrifft, nicht optimistisch.

DIE FURCHE: Da deutet sich jetzt schon sehr früh ein Schluss unseres Gesprächs an.

Florian Weigensamer: Es ist aber wichtig, dass es eben darum geht, die Welt zunächst einmal zu zeigen, wie sie ist. Das wird ja weit weggeschoben. Wir wollen aber nicht die Leute vor den Geschäften in der Mariahilferstraße anschreien, weil sie sich ein Smartphone kaufen. Wir wollen den Leuten nicht sagen, was sie besser tun sollten. Sondern ihr Bild von der Welt komplettieren. Da gehört Sodom auch dazu.

DIE FURCHE: Aber wie sind Sie ausgerechnet auf den Ort Agbogbloshie gekommen?

Weigensamer: Unser Ausgangspunkt war eigentlich nicht das Smartphone sondern die Müllhalde. Das Leben am Ende der Wertschöpfungskette. Das Smartphone ist ein sehr persönlicher Gegenstand, an dem der Wertschöpfungskreislauf am offensichtlichsten darstellbar ist und durch den sich auch sofort Nähe zu den Zusehern herstellen lässt.

Krönes: Wenn man das erste Mal an diesen Ort kommt, ist man völlig orientierungslos und erschlagen von Eindrücken: Vom Lärm, dem Rauch, der Hitze. Auf den ersten Blick erscheint alles chaotisch, wenn man jedoch tiefer blickt, erkennt man, dass Agbogbloshie sehr gut organisiert ist. In diesem scheinbaren Endzeitszenario entdecken wir eine Gesellschaft mit ganz normalen Bedürfnissen. Es gibt Geschäfte, einen Friseur, ein Fitnessstudio, einen Schmuckmacher. Es war faszinierend zu sehen, wie sich die Leute dort mit unglaublicher Kreativität aus unserem Müll eine bescheidene Existenz aufbauen.

Weigensamer: Tatsächlich ist das Chaos immer nur in unserer Perspektive da. Für die Leute dort hat jeder Haufen einen Sinn. Du kannst dort nicht einfach etwas vom Boden aufheben, das gehört alles jemandem. Sowohl gesellschaftlich als auch wirtschaftlich. Der Ort, wo das Feuer ist, wo die Kabel verbrannt werden, gehört jemandem, das ist ein Geschäft. Man kann nicht einfach irgendwo ein Feuer machen. Man muss zur richtigen Adresse gehen und bezahlen. Es ist ein absolutes Spiegelbild unserer Gesellschaft. Kapitalistisch hart.

DIE FURCHE: Der erste Mensch, der in Ihrem Film auftritt und den Namen Sodom ruft, ist ein Prediger, vielmehr eine Art Prophet am Eingang zu Agbogbloshie. Wie passt der zur kapitalen Härte?

Weigensamer: Der Prediger passt gut zu dem Ort. Wenn heute ein Apple-iPhone präsentiert wird, ist das ja auch wie eine Messe, die da abgehalten wird. Der Prediger auf der Deponie zelebriert seine Messe am anderen Ende der Wertschöpfungskette.

Krönes: Er ist eine faszinierende Figur. So inbrünstig seine Bekehrungsversuche auch sind, so aussichtslos bleibt seine Mission. Denn auf der Müllhalde leben ausschließlich Muslime. Aber man lässt ihn gewähren und füttert ihn sogar durch.

DIE FURCHE: Man leistet sich ihn. Apropos: War es leicht, Sponsoren für den Film in Europa zu finden?

Krönes: Das Projekt ist von den Förderstellen anfangs mehrfach abgelehnt worden. Immer mit dem Argument, das sei doch eigentlich etwas für das Fernsehen, nicht für einen Kinofilm. Wir wollten das Leben dort aber nicht aus einem westlichen Blickwinkel beleuchten, sondern aus der Perspektive der Betroffenen. Es war auch ein recht langwieriger Prozess, das Vertrauen der Menschen in Agbogbloshie zu gewinnen.

Weigensamer: Wir waren ein bisschen wie die weißen Clowns. Für unsere Dreharbeiten brauchten wir die Zustimmung des Ältestenrats von Agbogbloshie, denn offizielle Stellen haben dort keinerlei Einfluss. Sodom ist ein selbstverwalteter Ort. Was dabei auch interessant war: Es gab nicht diese klassische Situation, bei der jemand Geld von uns verlangt hätte. Den Leuten war wichtig, dass sie uns vertrauen konnten.

Krönes: Sie wissen ja, was in den Medien über Sodom berichtet wird. Es geht immer nur darum, wie schrecklich der Ort ist und die Forderung, Agbogbloshie zu schließen. Aber das geht am Problem vorbei und würde den Menschen hier nur die Existenzgrundlage entziehen.

Weigensamer: Es ist immer der gleiche Kreislauf der Ausbeutung. Die Mittelschicht in Ghana hat keine Arbeit mehr, weil ausländische Firmen, hauptsächlich chinesische, kommen und alles von ihren eigenen Arbeitern machen lassen. Oder ein anderes Beispiel: Die EU hat langjährige Fischereiverträge mit Ghana geschlossen. Jetzt kommen riesige europäische Trawler und fischen alles leer. Die Fischer gehen also in die Stadt, aber dort gibt es auch keine Arbeit. Und irgendwann landen sie schließlich in Sodom

DIE FURCHE: Aber wenn Österreich einen EU-Afrika-Gipfel veranstaltet, geht es eher darum, wie wir den Chinesen das Geschäft nehmen können, nicht wie Afrika gestärkt werden kann.

Krönes: Das ist genau das Problem. Es geht gar nicht um Hilfestellungen für Afrika, sondern um die Umsetzung der eigenen wirtschaftlichen Interessen auf diesem Kontinent - eine neue Form des Kolonialismus. Gemessen an seiner Wirtschaftsleistung zählt Ghana zu den führenden Nationen der Welt, doch die Menschen vor Ort merken von diesem Wohlstand kaum etwas. Die Bodenschätze werden von ausländischen Konzernen ausgebeutet, internationale Investoren kontrollieren riesige Landstriche und zudem steht Ghana vor

dem ökologischen Kollaps. Die Wälder sind vernichtet, Wildtiere gibt es kaum mehr und über die Millionenmetropole Accra ziehen die pechschwarzen Rauchschwaden von Agbogbloshie und vergiften große Teile der Stadt.

DIE FURCHE: Die Zerstörung der Umwelt und die massiven Eingriffe des Menschen ins Klima sind längst Gegenstand von zahlreichen Konferenzen. Wenn sie etwa auf einer solchen Weltkonferenz zum Thema Weltrettung sprechen dürften, was würden Sie sagen?

Weigensamer: Ich fürchte, man lügt sich bei solchen Konferenzen in die eigene Tasche. Es ist ja kein realistisches Bild, das dort entworfen wird. Es ist eher der Versuch, sich abzuputzen und sich selbst erfolgreich und gut darzustellen. Man redet mit, um sich danach ein Stück besser zu fühlen. Dabei würde es schon genügen, den Kontinent Afrika nicht länger auszubeuten. Von dort kommen die meisten Rohstoffe, die in den Industrieländern eine unglaubliche Wertsteigerung erfahren und als Müll wieder nach Afrika zurückkehren. Und schwache oder korrupte Regierungen in diesen Ländern sind für die Industrienationen natürlich willkommene Partner im Sinne der eigenen Profitmaximierung.

DIE FURCHE: Das klingt nicht gut für die Rettung der Welt.

Weigensamer: Nein, generell ist eine internationale Tendenz in Richtung Nationalisierung erkennbar. Die Wahrheit wird immer globaler, der Blick auf die Welt aber immer bornierter und kleinkarierter. Man nehme nur Agbogbloshie, natürlich hat dieser Ort etwas mit uns und unserer Lebensweise zu tun. Aber das wird gerne weggeschoben.

Krönes: Für Europa ist diese Art der Müllentsorgung die billigste Möglichkeit, den Elektroschrott los zu werden, für die Ghanaer ein Weg, zumindest ein wenig Geld zu verdienen. Zynisch betrachtet ist es also eine Win-win-Situation für beide Seiten.

Weigensamer: Wir hoffen auch, dass der Film dazu beitragen kann, das überall in Europa propagierte Zerrbild des Wirtschaftsflüchtlings ein wenig in Richtung Wahrheit zurecht zu rücken. Wenn man diese Menschen kennen gelernt hat, kann man es ihnen nicht verdenken, dass sie nach Europa wollen. Diese Menschen haben jedes Recht, diesen Ort zu verlassen, denn wir halten die Feuer von Sodom am Lodern.

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