Tiefe Einschnitte bei FamiliEn- BEraTung

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Im Regierungsprogramm heftete sich Türkis-Blau die Förderung von Familien auf die Fahnen. Nun kürzt die Regierung bei deren Beratung. Die Folgekosten könnten hoch sein.

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Im Regierungsprogramm heftete sich Türkis-Blau die Förderung von Familien auf die Fahnen. Nun kürzt die Regierung bei deren Beratung. Die Folgekosten könnten hoch sein.

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Ein kleines Beratungszimmer wie vielleicht andere auch: zwei Lehnstühle, ein Tisch; rechts stehen noch ein Regal und eine kleine Sandkiste. Gedämpftes Licht kommt von einer hohen Stehlampe. Marlene S. (Name von der Redaktion geändert) sitzt auf einem der beiden Lehnstühle - nicht direkt ihr gegenüber hat Sonntraut Diwald, Familienberaterin, Platz genommen. Marlene ist Mitte fünfzig und heute zum ersten Mal hier. Sie beginnt, Diwald aus ihrem Leben zu erzählen; über die derzeit sehr angespannte Situation in der Familie; über den seit Jahren schwelenden Konflikt zwischen ihrer älteren Schwester und ihrer über achtzigjährigen Mutter, die taub und blind ist. Beide wohnen zusammen. Und zwischen den Stühlen sitzt Marlene und versucht zu vermitteln. "Ich schaffe das alleine nicht mehr", sagt sie resigniert und kämpft mit den Tränen.

Flucht aus der Krise

Sonntraut Diwald ist nicht nur Familiensondern auch Lebens-und Sozialberaterin sowie Psychotherapeutin im Beratungszentrum der Evangelischen Kirche A. B. im fünften Bezirk in Wien, wo derzeit sieben Berater Hilfesuchende unterstützen. Menschen wie Marlene, die eine Krise in ihrem Leben durchmachen und nicht mehr weiterwissen, können hier mit jemandem reden, der ihnen Zeit und Aufmerksamkeit schenkt.

"Ich habe nach einer Beratungseinrichtung gegoogelt und diese gefunden", erzählt Marlene. "Ja, ich möchte aus dieser Situation herauskommen." Diwald hört ihr aufmerksam zu, stellt Fragen, lädt zu Übungen ein, setzt Interventionen. So legt sie zum Beispiel im Zuge der Schwangerschaftsberatung schwangeren Frauen, die an einen Schwangerschaftsabbruch denken, gerne ein Blatt mit einem Mandala darauf vor. Mit Glasnuggets stellen diese darauf ihre Familiensituation dar.

Im Frühjahr kündigte Familienministerin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) Kürzungen bei der Förderung von Familienberatungsstellen an. Hier erhalten Menschen kostenfreie und anonyme Unterstützung, wenn sie etwa mit Erziehungsproblemen, Familienund Paarkonflikten, Trennungen, schulischen Herausforderungen, gesundheitlichen und psychischen Problemen oder Arbeitslosigkeit kämpfen. Statt über 13 stehen heuer und im kommenden Jahr nur je rund 12 Millionen Euro dafür zur Verfügung. Stunden müssen daher gekürzt, Berater in den Einrichtungen reduziert werden. Über 18.000 Hilfesuchende könnten bald nicht mehr beraten werden, warnt etwa der Dachverband Familienberatung. "Diese Einsparungen trafen uns im Frühjahr wie ein Blitz aus heiterem Himmel", sagt Johannes Wahala, Psychotherapeut und Sprecher des Dachverbands Familienberatung im Gespräch mit der FURCHE. "Ich war von dieser Regierung überzeugt, dass sie im Familienbereich nichts kürzen wird." Noch im Juni initiierte er daher eine Online-Petition, mit der er zum Widerstand gegen die Kürzungen aufrief. Tausende unterzeichneten sie innerhalb weniger Wochen, freut er sich. Auch das Echo in den Medien blieb nicht ungehört. "Damit hat die Ministerin überhaupt nicht gerechnet", sagt Wahala. Die Petition läuft weiter; 18.000 Unterzeichner seien sein Ziel. Diese Zahl steht für jene Menschen in Österreich, die von Familienberatern bald nicht mehr unterstützt werden können.

Ein Sicherheitsnetz beim Seiltanz

"Wenn es uns nicht gelingt, den Rückgang an Fördermitteln etwa durch noch mehr freiwillige Kostenbeiträge der Klienten oder andere Drittmittel wie Sponsoring auszugleichen, können wir zukünftig weniger Menschen in Not helfen", sagt Johannes Reinprecht, Direktor des Instituts für Ehe und Familie (IEF), einer Einrichtung der Österreichischen Bischofskonferenz. Über 1600 Einzelpersonen und Paare werden hier jedes Jahr beraten. Reinprecht sagt: "Hinter jedem Klientenpaar, dem nicht geholfen werden kann, hinter jeder Ehe, die nicht gerettet werden kann, verbergen sich oftmals echte Tragödien." Er warnt vor den Folgekosten, die für Gesellschaft, Wirtschaft und Staat entstehen -sei es durch Leistungsabfall am Arbeitsplatz oder in der Schule oder sei es durch mehr Krankenstände. Eine Aufstockung der öffentlichen Mittel für Familienberatung würde langfristig dem Staat ein Vielfaches an Kosten sparen, ist Reinprecht überzeugt.

Rund 230.000 Personen wurden laut Dachverband Familienberatung im Vorjahr in 400 vom Bund anerkannten Familienberatungsstellen beraten und betreut. Von Studierenden bis Mindestpensionisten -alle demografischen und sozialen Schichten waren vertreten, heißt es dort. Viele, die professionelle Hilfe benötigen, seien verzweifelt; wissen in ihrer Situation weder ein noch aus, erklärt Johannes Wahala.

Sonntraut Diwald fokussiert in den Sitzungen nicht die Schwächen ihrer Klienten, sondern unterstützt diese, wieder an ihren Stärken "anzudocken". Sie spricht aus Erfahrung. Seit mehr als 30 Jahren sei sie bereits Beraterin. Mit Leib und Seele, wie sie sagt. "Ich vermittle meinen Klienten im Gespräch die Sicherheit, dass sie ein Netz unter sich haben, wenn sie am Seil tanzen", sagt Diwald.

Alternativen für Klienten oft nicht leistbar

Auch die Beratung von Schwangeren sei von den Kürzungen betroffen, erzählt Diwald. Sie holt eine Karte von einem Paar von der Wand, das vor Monaten bei ihr war. Darauf sind neugeborene Zwillinge zu sehen. Diwald strahlt und sagt: "Ich erfahre selten, wie sich meine Klientinnen entscheiden." Denn im Gegensatz zu anderen Klienten kommen Schwangere sehr oft nur einmal zu ihr.

"Hilfesuchende müssen bereits über drei Monate auf einen Termin warten", ergänzt Johannes Wahala. Das sei in Akutsituationen wie bei einem Todesfall in der Familie untragbar. Bundesministerin Bogner-Strauß geht auf diesen Vorwurf nicht im Detail ein. Dazu fehlen ihr statistische Zahlen, lässt sie über ihren Pressesprecher ausrichten.

Der Bedarf an Familienberatern steige jedoch weiter, sagt Reinprecht vom Institut für Ehe und Familie: "Ich finde es sehr bedauerlich, wenn die öffentlichen Mittel für die Beratung von Familien gekürzt werden." Deren Aufstockung würde dem Staat hingegen langfristig ein Vielfaches an Kosten sparen, ist er überzeugt.

"Nicht wenige meiner Klienten befinden sich in Notsituationen und könnten sich andere Berater bestimmt nicht leisten", warnt Diwald. Auch sie steht den Kürzungen kritisch gegenüber. Klienten wie Marlene werden dann so bald nicht mehr zu ihr kommen können, befürchtet sie - oder müssen länger auf einen Termin bei ihr warten. Fünfzig Euro zahlt das Bundeskanzleramt derzeit für eine Beratungsstunde. Viel zu wenig, kritisiert Wahala. Dieses Honorar müssen selbständige Lebens-, Sozial-und Familienberater ja noch dazu versteuern.

"Sehen Sie hier den Papierkorb?", fragt Sonntraut Diwald Marlene. "Nehmen Sie jetzt Ihre Sorgen und werfen Sie diese da hinein." Marlene atmet kurz durch. "Diese Stunde tat mir gut", sagt sie und klingt erleichtert. Ob Marlene wieder zu ihr kommen wird, weiß Diwald nicht. Sie werde sich bei Bedarf wieder bei ihr melden. "Viele meiner Klienten können danach ihr Leben wieder in die Hand nehmen." Ohne Beratung würden einige aber möglicherweise depressiv werden und könnten ihren Beruf nicht mehr ausüben. "Das will bestimmt niemand", sagt Sonntraut Diwald. "Auch nicht die Familienministerin."

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