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DENKMAL FÜR REBELLEN

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Der Führer der kanadischen Nordwestrebellion, das Idol der Metis — der Mischlinge, in deren Adern das Blut von Indianern und Franzosen floß —, starb am 16. November 1885 in der Präriestadt Regina am Galgen. Viele Franco- Kanadier idealisierten ihn, doch für die Staatsgewalt war Louis Riel ein Hochverräter. Als er in Regina eingekerkert war, schrieb die Zeitung „L’Electeur“ am 25. Juni, am Nationalfeiertag der Franco-Kanadier: „Riel, trotz deiner Vergehen verdienst du unsere Bewunderung. Jungfrau von Orleans! Chienier! Mit der größten Hochachtung rufen wir diesen Namen. Chenier hat sein Denkmal. Riel, ( auch du wirst eines haben.“ — Die Ankunft der Landvermesser, die bevorstehende Erschließung der Prärie, hatte die Existenz der Metis (und auch der Indianer) bedroht. Die Regierung im fernen Osten bemühte sich nicht, die Sorgen der Verzweifelten zu zerstreuen. So kam es zum Ausbruch der Nordwestrebellion...

Heute erwacht diese tragische Episode in der Geschichte der Prärie in dem Musikdrama „Louis Riel“ zu neuem Leben. Schon gilt die Uraufführung der Oper — Musik: Harry Somers, Libretto: Mavor Moore mit Jacques Languirand — als das wertvollste künstlerische Geschenk zum 100. Geburtstag der Nation Kanada. Die Oper hat ihre Entstehung in erster Liiniie dem Frankfurter Hermann-Geiger-Torel zu verdanken, dem genialen und dynamischen Generaldirektor der Canadian Opera Company, der es verstand, einen Mäzen für die Finanzierung des Kompositionsauftrages zu gewinnen. Großzügige staatliche Subsidien ermöglichten eine glanzvolle Inszenierung, die auch im Hinblick auf die Montrealer Weltausstellung geschaffen wurde.

Die Nordwestrebellion gilt als die vielleicht dramatischste Episode in der kanadischen Geschichte. Sie in einer Zeit auf die Bühne zu zaubern, da die Spannungen zwischen Anglokanadiern und Franco-Kanadiern jeden Tag an Intensität gewinnen, ist ein Wagnis. Daß es glückte, ist ein Triumph für alle Beteiligten. Als der Vorhang zum letztenmal niederging, stimmten die zahlenmäßig stark vertretenen Franco-Kanadier — man hat hier kaum jemals so viel Französisch in den Pausen gehört — in den tosenden Applaus ein.

Tosende Ovationen für eine neue Oper sind rar, doch Kanadas größte Morgenzeitung, „Torontos Globė & Mail“, kommentierte: „Der Enthusiasmus war berechtigt.“ — Der Sensationserfolg von „Louis Riel“ war um so bemerkenswerter, weil die Inszenierung mit Terminschwierigkeiten zu kämpfen hatte, da einige Sänger bei Kanadas Stratford-Fest- spielen engagiert waren. Auch der junge Komponist Harry Somers war in Zeitnot. Er sagt darüber: „Die rechtzeitige Beendigung der Opera kann mit dem Herandonnem eines Frachtzuges verglichen werden — wenn man an die Schienen gefesselt ist...“

Interessant war der Einfall, Franco-Kanadier — wenn es die Szene ratsam erscheinen ließ — französisch sprechen zu lassen, während sonst die englische Sprache dominierte. (Um die französischen Nuancen richtig zu erfassen, hatte der Librettist Mavor Moore den Montrealer Bühnenschriftsteller Languirand als Mitarbeiter gewonnen.) „Louis Riel“ ist keine Oper, deren Melodien man pfeift, doch ein faszinierendes Tongemälde. Harry Somers, Schüler von Darius Milhaud, geht eigene Wege — auch in der Art, wie er Indianerweisen und patriotische Gesänge der Nordwestrebillion mit seiner Musik verwebt.

Unter den Sängern dominiert Bernard Turgeon in der Titelrolle. Er sagte darüber: „Als ich in der Prärie in die Schule ging, wurde Riel als Rebell abgetan. Das irritierte mein französisches Blut. Nun habe ich nicht nur die Chance, die schwierigste Rolle meiner Karriere zu singen, sondern auch die Möglichkeit, seinen Charakter im richtigen Licht erscheinen zu lassen.“ Als Louis Riels Gegenspieler Sir John A. MacDonald ist Cornelis Opthof besonders zu erwähnen. In der Rolle des Indianerhäuptlings Poundmaker gefällt der aus Hildesheim stammende Bariton Oskar Raulfs. — Ausgezeichnet die Regie Leon Majors, welche die Spannungsmomente geschickt zu steigern versteht; vorbildlich die Stabführung Victor Feldbrills. Sie alle scheinen von dem Genie Herman Geiger-Torels, einst Mitarbeiter von Lothar Wallerstein, inspiriert zu sein, den seine neue Heimat den Ehrentitel „Kanadas Mr. Opera“ gab.

Zum Schluß noch eine Pointe. Kurz vor der Premiere der Oper verkündete Ministerpräsident Thatcher von Saskatchewan, daß die Prärieprovinz ein Louis-Riel-Denkmal errichten werde. Der Premier berichtete dies in der Landeshauptstadt Regina, in der Riel vor 82 Jahren hingerichtet worden war. Damit war die Prophezeiung der Zeitung „L’Electeur“, daß dereinst — wie an Chenier — ein Denkmal an Louis Riel erinnern werde, in Erfüllung gegangen...

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