Der erste Expressionist

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El Greco-Ausstellung im Kunsthistorischen Museum Wien.

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El Greco-Ausstellung im Kunsthistorischen Museum Wien.

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El Greco hat niemals auch nur eine einzige Hand malen können, El Grecos Hände schauen immer aus wie schmutzige nasse Waschlappen, sagte Reger jetzt, aber El Greco gibt es im Kunsthistorischen Museum ja gar keinen." - Zumindest in einem Punkt irrt der misanthropische, verbitterte Gelehrte in Thomas Bernhards Roman "Alte Meister", wenn auch nur vorübergehend: Im Rahmen einer Sonderausstellung sind nämlich zur Zeit an die 40 Gemälde von El Greco im Kunsthistorischen Museum (KHM) in Wien ausgestellt. Sie ist die erste monographische Präsentation des großen Künstlers im deutschsprachigen Raum und wird von entsprechendem internationalem Medienecho begleitet.

Dass El Greco (1541 bis 1614) über Jahrhunderte - nicht nur in Zentraleuropa - mit Unverständnis begegnet worden war, liegt nicht nur an seinem die Moderne vorwegnehmenden Malstil, sondern auch daran, dass er sich in geradezu postmoderner Weise zwischen alle Stühle setzte. Sein revolutionäres Genie nämlich stellte er, möglicherweise sogar ohne innere Überzeugung, in den Dienst einer konservativen Zeitströmung: der Gegenreformation. Doch deren Vertreter wussten ihn - naturgemäß, wie gesagt werden muss - nicht zu schätzen.

In seiner Heimat war der auf Kreta geborene Domenikos Theotokopoulos schon ein anerkannter Ikonenmaler, bevor er die griechische Insel verließ und zuerst nach Venedig, dann nach Rom ging und sich schließlich 1577 in der spanischen Stadt Toledo niederließ, wo noch 16 Jahre zuvor der königliche Hof residiert hatte. Dort gelang ihm die Synthese der einander entgegengesetzten römischen und venezianischen Kunstrichtungen, El Grecos Malweise fußte gleichermaßen auf den antithetischen Meistern Michelangelo und Tizian.

In Farbgebung, Figurenstil und Monumentalität nahm El Greco Bezug auf Michelangelo, von Tizian, in dessen Werkstatt in Venedig er wahrscheinlich gearbeitet hatte, hatte er gelernt, Details in der Malerei bloß anzudeuten, anstatt sie voll auszugestalten und mit übereinanderliegenden Farbschichten zu arbeiten. Damit das Auge des Betrachters das Bild richtig vervollständigt beziehungsweise die Farbschichten zu einem stimmigen Gesamteindruck mischt, bedarf es enormen Könnens und überzeugenden Ausdrucks. Pinselstriche, die aus der Nähe wie hingetupft aussehen, schließen sich so in der Ferne zu großartigen Bildern.

Manche seiner Werke wirken geradezu wie Frühwerke des Expressionismus, man könnte sie für Produkte des 20. Jahrhunderts halten. Kühne expressive Effekte, verzerrte Proportionen, die Dissonanz seiner Farben, die Abstraktion des Raumes verleihen El Grecos Werk einen antinaturalistischen Charakter. Einzigartig ist das künstliche, zunehmend symbolisch werdende Licht: Tageslicht oder Sonne gibt es in seinen spanischen Gemälden überhaupt nicht, das Licht strahlt gleichsam von den dargestellten Körpern aus. obwohl es noch als Licht von außen verstanden werden will. Als "genialen Lichtregisseur des religiösen Theaters" bezeichnet ihn KHM-Kuratorin Sylvia Ferino-Pagden im Katalog.

Die meisten von El Grecos Werken sind religiöser Natur. Sein für den Ausdruck von Übernatürlichem besonders geeigneter Stil kam bei den lokalen religiösen Auftraggebern gut an. Die Darstellung Marias als Mutter Gottes, die Darstellung von Buße und Büßenden sind charakteristische Motive der Gegenreformation. Es mutet höchst seltsam an, dass El Greco seinen revolutionären Stil in den Dienst dieser konservativen Zeitströmung stellte, die Spanien damals beherrschte. Während viele Kunsthistoriker die tiefe Religiosität von El Grecos Bildern auf dessen intensive Beschäftigung mit Mystik zurückführen, erheben sich neuerdings Stimmen, die behaupten, er habe seine einzigartige Ausdrucksweise aus rein kunsttheoretischen Überlegungen entwickelt. Schließlich hatte ja El Greco, als er in Italien Fuß fassen wollte, auch nicht gezögert, von der orthodoxen zur katholischen Kirche überzutreten.

Wie dem auch sei - König Philipp II. von Spanien, einem Habsburger und eifrigen Bekämpfer der Reformation, missfiel El Grecos Stil. Statt der angestrebten Karriere eines Hofmalers musste er sich mit der Position einer Lokalgröße zufrieden geben. Damit blieb El Greco internationale Bekanntheit versagt und seine Werke fanden auch nicht Eingang in die Sammlungen anderer Habsburger wie Rudolf II., Erzherzog Leopold Wilhelm oder Kaiser Karl VI.. Aus diesem Grund befindet sich auch im Kunsthistorischen Museum normalerweise kein einziger El Greco. Heute hingegen gilt El Greco als einer der größten alten Meister überhaupt und seine Porträts, von denen einige nun in Wien zu sehen sind, als Höhepunkte der abendländischen Malerei.

Es waren die Künstler des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die El Greco wiederentdeckten, Impressionisten, Kubisten, sogar Abstrakte vermeinten in ihm einen Vorfahren zu erkennen; Manet, Degas oder Picasso sahen in El Greco einen verwandten Geist und eine Quelle der Inspiration. Vor allem der deutsche Expressionismus feierte El Greco als seinen Ahnherren (von 1910 bis 1913 war Grecos nun in Wien ausgestellter "Laokoon" in München zu sehen). Für zeitgenössische konservative Kunstkritiker hingegen stellte El Greco einen "monumentalen Fall der Künstlerentartung" dar. Womit wir fast wieder bei Thomas Bernhard wären.

Bis 2. September

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