El Grecos Geist - kein liebliches Täubchen

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In der Spannung zwischen stürmischer Herabkunft und göttlichem Emporgerissensein liegt die Faszination der Bilder El Grecos, von denen 40 der schönsten zur Zeit im Wiener Kunsthistorischen Museum zu sehen sind. Ihre Farben leuchten wie entzündete Seelen.

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In der Spannung zwischen stürmischer Herabkunft und göttlichem Emporgerissensein liegt die Faszination der Bilder El Grecos, von denen 40 der schönsten zur Zeit im Wiener Kunsthistorischen Museum zu sehen sind. Ihre Farben leuchten wie entzündete Seelen.

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Sonderbar. Höchst sonderbar", nennt der berühmte Berliner Theaterkritiker Alfred Kerr El Grecos fast drei Meter hohes Pfingstbild, das er 1924 im Prado zum ersten Mal sieht: "Und die Taube ... die Taube hat einen Raubmöwenkopf." In dem stenogrammartigen Reiseessay "O Spanien!" widmet der religiös distanzierte Kerr, gleichzeitig abgestoßen und hingerissen, zehn Seiten dieser ihn völlig verwirrenden Begegnung mit den Bildern Grecos in Madrid und Toledo: "Behext, angeschluckt, hingebannt", fühlt er sich im Prado von Bildern wie der "Taufe Christi", der "Kreuzigung", von den "Lichtjähheiten" der "Stigmatisation des heiligen Franziskus" oder eben der "Ausgießung des Heiligen Geistes".

Dreizehn Apostel El Greco hat dieses sein einziges Pfingstmotiv (siehe Seite 1 dieser furche) um 1600 vermutlich zusammen mit Bildern von der Geburt, der Taufe, der Kreuzigung, der Auferstehung Christi sowie einer "Mariä Verkündigung" für den Hochaltar des Augustinerkollegs "Nuestra Senora de la Encarnacion" in Madrid gemalt. Erstaunlicherweise ist keine Intervention seitens einer der damals im Spanien der Inquisition tätigen Kommissionen überliefert, welche Bildwerke, die in Kirchen angebracht werden sollten, zu protokollieren, auf ihre Rechtgläubigkeit zu prüfen und schließlich zu approbieren hatten. Greco musste sich ja gleich zu Beginn seines Schaffens in Toledo massiven theologischen Einwänden gegen sein großartiges Bild der "Entkleidung Christi" in der Sakristei der Kathedrale (eine sehr gute Werkstattreplik ist derzeit in der Wiener Ausstellung zu sehen) stellen, da der strahlende Mittelpunkt, das Antlitz Jesu, von den Köpfen der Kriegsknechte überragt wurde - das wollten die Zensoren nicht gelten lassen, ebensowenig, dass die drei Marien als unmittelbare Zeuginnen der Entkleidung und Kreuzigung Jesu dargestellt waren.

Im Pfingstbild hat nämlich El Greco, abweichend von Bibel und Tradition, dreizehn Apostel dargestellt - und neben Maria eine zweite Frau, was um so überraschender ist, als Greco im religiösen Kontext - von seinen einzigartigen Madonnen und einigen büßenden Magdalenen abgesehen - kaum Frauen gemalt hat. Man rätselt, ob er mit der jungen Frau an der Seite Mariens die Jüngerin Jesu aus Magdala gemeint haben könnte - und mit jenem bärtigen Alten, dem dreizehnten Apostel, der aus dem Bild blickt, einen seiner zahlreichen noblen und gelehrten Freunde aus der Toledaner Elite, der er - wie die Quellen belegen - selber angehört hat. Vielleicht hat er sich sogar selber gemeint, als treuen Sohn der römischen Kirche zu Toledo, wo die Erzbischöfe - zugleich Generalinquisitoren - mit der radikalen Umsetzung der Dekrete des Konzils von Trient ein Vorbild für das ganze katholische Spanien sein wollten.

Der Kunst kam dabei die Aufgabe der Belehrung und Bekehrung zu, sie war die Magd der Dogmatik. El Grecos "Pfingsten" aber greift, wie sein ganzes Werk, weit über diese Enge hinaus und ist viel eher bildliche Wiedergabe mystischer Erfahrung als Umsetzung trockener Konzilscanones, ist vielmehr ein Inbild der Verzückung und Entrückung, wie sie von Teresa von Avila beschrieben wurden: "Der Leib bleibt stehen oder knien, wie ihn die Ekstase getroffen hat ... dann erstarren die Arme und bleiben manchmal angespannt wie Balken ... die Seele wurde mir erhoben und fast immer folgte ihr, ohne dass ich es verhindern konnte, das Haupt, manchmal auch der ganze Körper ..."

Wie Greco seinen geistlichen Auftraggebern entsprochen und gleichzeitig ganz und gar autonome, ja subversive Kunstwerke geschaffen hat, zeigen seine "Apostolados", Serien von Apostelporträts, die das sakramentale Weiheamt im Klerus und in den Gläubigen neu befestigen sollten. Die besten davon hängen in der Sakristei der Kathedrale von Toledo. In diesen hinreißenden Gesichtern über wild drapierten Gewändern - für viele das Beste von Greco - findet der Betrachter keine abgeklärten Antlitze, die nach ihrem Pfingsterlebnis alles Weitere einschließlich Martyrium souverän im Griff gehabt hätten, nein, diese Gesichter sind Seelenlandschaften, gezeichnet vom Realismus erfahrener kastilischer Bauern, die um die stete Gefährdung ihrer Ernte wissen. In diesen Gesichtern finden wir psychische Situationen, die ebenso schwierig sind wie die unseren.

Grecos Bildmystik mit ihrer Asymmetrie, ihrem Anaturalismus, "ihren Gestalten von Innen heraus" (Rilke) und ihrer wilden Vergeistigung war die Antwort auf die ausgewogenheitsverliebte italienische Renaissance. - Alle Konventionen über Raum, Licht und Farbe werden von Greco dem seelischen Ausdruck unterworfen und, wenn nötig, geopfert.

Leider ist aus dem Bilderensemble aus der Kirche "Unserer Lieben Frau von der Menschwerdung", das sich heute mit Ausnahme der "Anbetung der Hirten" im Prado befindet, das Pfingstbild El Grecos nicht nach Wien gekommen - dafür aber eine andere Apotheose des Heiligen Geistes: "Mariä Verkündigung", das thematische Leitbild dieses Retabels (siehe Bild oben). Von den zahlreichen "Verkündigungen" aus Grecos Hand, zumindest aus seiner Werkstatt, ist es jene mit der vielleicht stärksten Dynamik. Da fängt sich in der Mitte des Bildes der Blick in einem sausenden Licht- und Windkanal aus unzähligen Cherubimköpfen, der das himmlische Kammerorchester der musizierenden Engel mit der irdischen Sphäre verbindet.

Wie Gott im Menschen gezeugt wird: Durch diese Schleuse des Geistes stürzt in einer Explosion des Lichtes die Taube auf das anmutige Mädchen im weiß übergossenen El Greco-Krapprot, auf Maria, in deren Gemach graue Wolkenmassen und ein hochaufragender samaragdgrüner Erzengel Gabriel eingedrungen sind. Zwischen Maria und dem Engel brennt - getreu byzantinischer Tradition - der Dornbusch in einem Feuer, das nicht verzehrt, in dem sich die Anwesenheit des Ich-bin-der-ich-sein-werde offenbart. Merkwürdig: Wenn El Greco brennende Flammen malt, wirken sie blass und kühl, ob an den Fackeln des nächtlichen "Begräbnis des Grafen von Orgaz" oder als Feuerzungen von "Pfingsten" oder im brennenden Dornbusch der "Verkündigung". Licht und Glut der entzündeten Seelen leuchten aus den Gestalten selber und brauchen keine physische Quelle.

"... und wir brennen" Selbst wenn man ein frühes Bild Grecos betrachtet, den "Knaben, der eine Kerze entzündet" (ebenfalls derzeit in Wien! - siehe Bild links), erscheint es im spirituellen Kontext mehr als nur eine malerische Chiaroscuro-Etüde, vielleicht sogar als Anspielung auf die Entzündung der Seele am göttlichen Funken. "Erwecke das Feuer, das ist die Pflicht des Menschen", dieses künstlerische Vermächtnis legt der Schriftsteller Nikos Kazantzakis, wie Greco auf Kreta gebürtig, in einem fiktiven Dialog am Schluss seiner Autobiographie dem verehrten Maler in den Mund, denn "Läuterung ist das Leben - und wir brennen".

An Greco kommt man mit gelangweiltem Kennerblick weder heran noch vorbei. Die Kontroversen um ihn sind so bekannt wie zahlreich. Die einen hielten ihn für verrückt, weil er so exzessiv und ekstatisch gemalt hat und versuchten, mit medizinischen Diagnosen die beunruhigende und provozierende Irrationalität seiner langgezogenen Engel, Madonnen, Heiligen und Edelleute zu entkräften. Die anderen redeten von den "hellen Flammen subjektiver Verinnerlichung" (Max Dvorak, 1928), vom "Rätselhaften, w... dass die Farben frei wie feurige Erscheinungen auf und ab flammen" (Julius Meier-Graefe, 1910).

Von der brennenden Sehnsucht dieser Bilder nach Gott zu reden blieb jenen Interpreten vorbehalten, die - oft als religiöse Schwarmgeister abgetan - erkannt haben, was uns auch heute an El Grecos Bildern so unerhört anspricht und anzieht: diese Heimwehglut unserer sehnsüchtigen, verbannten Seele. Meier-Graefe, der Kunsthistoriker, der El Greco auf seiner berühmten "Spanischen Reise" für die deutschen Expressionisten entdeckte, spürte bei Greco die Zuversicht, "durch den Sturm unserer Evolutionen hindurch zur Ruhe zu kommen".

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