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Raimundus Lullus

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Die Zeit der Kreuzzüge war vorüber; und doch hatte der Krauzzugsgedanke seinen Zauber über die Gemüter noch nicht ganz verloren. Denn noch war in Spanien die Alhambra eine Hochburg islamitischer Macht, Wissenschaft und Kunst, wenn auch nur im Nachglühen eines leuchtenden Sonnenunterganges. Islamitische Philosophie beherrschte die Universitäten in Europa. In vergeistigter Form trat im 13. Jahrhundert der Kreuzzugsgedanke in die Erscheinung. Die Frömmsten und Kühnsten, ein Franz von Assisi, ein Raimund von Penaforte, hatten es gewagt, dem Islam statt mit dem Schwert mit dem Wort vom Kreuz entgegenzutreten. In diese Welt wurde in Palma auf Majorka 1235 Raimund Lullus geboren, der Sohn eines reichen kataloni-schen Rittergeschlechtes; der junge schöne Mann wurde Seneschall und Troubadour am Hofe Jakobs II. von Aragonien. Er war kein Held der Tugend; zwar hatte er früh geheiratet, aber seine Zeitgenossen sagten ihm nach, daß er allzusehr galante Abenteuer geliebt habe. Musikalisch, ein Meister der Harfe, dichterisch begabt und geistig feingebildet, war er zum höfischen Zeremonienmeister wie geschaffen; ein Ritter mit den Formen eines Kavaliers, ein Dichter, dessen Ruhm seine Werke, Lieder, Gedichte, Romane heute noch künden, ein Philosoph, den jede Geschichte der Philosophie nennt, ein Schriftsteller von fast unheimlicher Fruchtbarkeit. Er schrieb mehr Bücher, als die meisten lesen; es sind 400 Werke. Als 1722 Salzinger eine Auswahl seiner Schriften herausgab, wurden es zehn Foliobände.

Eines Nachts ist der 32jährige beschäftigt, einer Hofdame, die ihn abgewiesen, in einem Liede die Leidenschaft seiner Seele zu öffnen, als er zu seiner Rechten den Gekreuzigten erblickt. Es ist ihm plötzlich, als sähe er aus den Wunden des Herrn das Blut rinnen und als sähen ihn die Augen mit tiefem stillem Vorwurf an. Diese Vision reißt ihn aus dem lockeren Ungeist des Hoflebejs. Der Seneschall und Liebesdichter wird Klausner auf dem Berge Rhoda, verkauft Hab und Gut, gibt, was nicht zur Sicherung des Unterhaltes von Frau und Kindern nötig ist, den Armen, löst die Bande mit der Familie, wird Tertiär des Franziskanerordens; aber er wurde weder Mönch noch Priester und blieb sein ganzes Leben lang Laie.

Von nun an trägt den Weltflüchtigen nur der eine Gedanke, das Christentum unter die Sarazenen zu tragen. Große Ziele faßt er ins Auge: Er will sein ganzes Leben dieser Aufgabe widmen, er will ferner ein Buch gegen die Irrgläubigen schreiben, weil er überzeugt war von der Sieghaftigkeit der Wahrheit, die sein Denken erfüllt, und er will Schulen zur Erlernung der orientalischen Sprachen und Missionsanstalten mit höchstem Bildungsziel zur Heranziehung von Missionaren für den nahen Orient errichten. Er selbst erlernt die arabische Sprache.

Seine Pläne waren nicht neu. Ein Thomas von Aquin und seine zeitgenössischen Mitbrüder hatten gleiche Ideen vertreten. Neu aber ist die Tatkraft und die geniale Universalität, die Raimundus Lullus veranlaßte, seine Unternehmungen in die größten geistigen philosophischen Zusammenhänge zu stellen. So stürzt er sich auf das Studium der Theologie und Philosophie. Als Frucht der ersten zehn Jahre gibt er das vielumstrittene Buch „Ars generalis“ heraus, in dem er die christlichen Glaubensgeheimnisse, die dem Bereiche der Vernunft entzogen sind, durch zwingende Vernunftgründe erhärten will; denn er glaubt, bei der Predigt des Evangeliums bei den Ungläubigen am ehesten mit Vernunftgründen dem christlichen Glauben Eingang verschaffen zu können.

1287 beginnt er sein Wanderleben von Stadt zu Stadt, von Land zu Land, um für die Idee der Mohammedanermission zu wirken. Über Rom reist er nach Paris. An der dortigen Universität ruft er die katholischen Gelehrten zur Mitarbeit auf. Die Glut seiner Liebe und seines Glaubens künden die dort gesprochenen Worte:

„Es erscheint mir zweckmäßig, wenn eine solche Einrichtung getroffen werden könnte, daß die Mönche fremde Sprachen lernen, damit sie hinausziehen können, um ihr Leben daranzugeben aus Liebe zu Dir. O Herr der Herrlichkeit, sollte dieser gesegnete Tag jemals anbrechen, an welchem ich Deine heiligen Mönche so durchdrungen sehe von dem Eifer, Dich zu verherrlichen, um Zeugnis abzulegen von Deinem heiligen Dienst, Deiner gesegneten Menschwerdung und Deinem bitteren Leiden, das sollte mir ein glorreicher Tag sein, der Tag, an welchem jene glühende Hingabe wieder erstünde, mit welcher die heiligen Apostel dem Tode entgegengingen um Christi Jesu willen, ihres Herrn.“

Es ist ihm nicht genug, daß in Miramar und Paris Pflanzstätten für Mohammedanermissionen errichtet werden. Er zieht nach Montpellier, zieht die Medizin in den Bereich seiner Studien, schreibt selbst sieben medizinische Werke, um auch eine missionsärztliche Wirksamkeit vorzubereiten. In Rom findet er jedoch beim Papst und bei den Kardinälen wenig Verständnis für seine Pläne.

Verkannt, verlacht, verleumdet, wagt er selbst das Große und zieht 1292 als 56jähri-ger zu den Sarazenen nach Tunis. Wo Ludwig der Heilige mit seinem ganzen Heere scheiterte, beginnt Lullus als einzelner Mann den geistigen Kreuzzug. In seinen Disputationen mit den mohammedanischen Gelehrten erklärt er, zum Islam übertreten zu wollen, wenn die Mollas ihn bezwingen. Er bleibt Sieger. Aber fanatische Gegnerschaft ist am Werke. Raimundus Lullus wird ins Gefängnis geworfen, zum Tode verurteilt, aber uf Vermittlung eines Mohammedaners zur Landesverweisung begnadigt. Vom Schiff, das ihn nach Genua bringen sollte, entkommt er, hält sich drei Monate im Land verborgen und hat noch die Seelenruhe, in der Todesnähe eines seiner philosophischen Hauptwerke zu schreiben. Seine Lage in Tunis ist jedoch aussichtslos und so reist er wieder nach Neapel zurück. Aber er ist nicht entmutigt. An Papst Zölestin V. richtet er eine neue Bittschrift um Förderung der Missionierung der nichtchristlichen Völker und erbittet die Gründung von Missionsstudienanstalten; aber auch diese Schrift bleibt erfolglos. Nun führt ihn auf seinem Weg zum gesetzten Ziel ein unstetes Wanderleben durch Armenien, Majorka, Zypern. Erschöpft nach Frankreich zurückgekehrt, wendet er sich abermals- an Papst Clemens V., und als wiederum sein Ruf ins Leere verhallt, tritt er mit 67 Jahren eine neue Missionsreise an und predigt öffentlich in Bugia bei Tunis. Wieder endet sein kühnes Wagnis im Gefängnis. In strenger Haft versucht man, ihn durch Überredung, Bestechung und Verführung zur Annahme des Islam zu bewegen und begnügt sich schließlich, ihn des Landes zu verweisen. Sein Schiff strandet, er kommt aber glücklich nach Pisa. In seiner unerhörten geistigen Elastizität verfolgt er seine Pläne welter.

Nochmals reicht er eine Denkschrift an den Papst ein (1309); der Erfolg ist nur gering. Doch das Konzil von Vienne bringt ihn wenigstens einen Schritt seinem Ziele näher. Es beschließt, Lehrstühle für orientalische Sprachen an europäischen Universitäten zu errichten. Den kühnen Geist hält es auch jetzt nicht in Europa.

Am 14. August 1314 fährt der 80jährige nochmals nach Afrika. Er kennt keine Sorge um sein Leben. Er schreibt: „Wir sind gewohnt, o Herr, Menschen sterben zu sehen an Altersschwäche, dem Versagen der natürlichen Wärme und am Übermaß an Kälte. Nicht also, so es Dein Wille ist, möchte Dein Knecht sterben. Er möchte sterben In der Glut der Liebe, so wie Do willig warst, für ihn in den Tod zu gehen.“

Auf dem Marktplatz in Bugia predigt er das Evangelium. Um den Verwegenen rottet sich eine murrende Menge. Dann bricht der Sturm los. An seinen weißen Haaren wird Lullus zur Stadt hinausgeschleift und gesteinigt. Es war am 29. Juni 1315.

Die allgemeine Geschichte rühmt Raimundus Lullus als einen der genialsten Geister seiner Zeit, die moderne Mission* Wissenschaft als kühnen Glaubensverkünder, der als Theoretiker und Praktiker bahnbrechend war, die Philosophie als den Weltweisen, der für die erkannte erhabene Idee als Held zu sterben verstand, und Frau Welt nennt ihn lächelnd einen Toren.

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