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Credo in Farbe und Licht

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In Toledo brennt der Geist der spanischen Mystik wie nirgendwo anders bis auf den heutigen Tag. „Toledo ist die Stadt Himmels und der Erden, wo alles im Außerordentlichen vor sich geht, und die im gleichen Maße für die Augen der Verstorbenen, der Lebenden und der Engel bestimmt ist“, sagte noch Rilke.

Hugo Kehrer, Münchner Kunsthistoriker und führender Fachmann auf dem Gebiet der spanischen Malerei, versteht es, die Begegnung des aus dem Italien der Renaissance kommenden Kreters und Tizian-Schülers Greco mit der spanischen Mystik zu erläutern und die Vorboten des Barocks in seinem Werk zu deuten. Greco traf im Sommer 1577 in Toledo ein, als Sechsunddreißigjähriger, und er schuf dort sein eigentliches Lebenswerk bis zu seinem Todesjahr 1614. Also kam er zu einer Zeit dorthin, in der er noch die heilige Therese von Avila antrafl

Greco und Toledo sind in Hinkunft nicht voneinander zu trennen. In keinem anderen Orte der Welt hätte er seine inneren Anlagen so entfalten können, wie es geschah, in keinem anderen Maler der Welt hätte Toledo seinen Maler zu finden gewußt. Über die Mittel der Atektonik, der Asymmetrie und des Antinaturalismus gelangte er zu einer Vergeistigung und Verinnerlichung, zu einer transparenten Katholizität, die ihresgleichen nicht hat.

Die Spannweite des Grecoschen Geistes ist ungeheuer. Sie reicht (ganz abgesehen von seinen der Renaissance verhafteten Frühwerken) von der unerbittlich scharfen Prosa des Stils, bei der Darstellung etwa des Großinquisitors Don Fernando Nino de Guevarra, bis zur höchsten Entfaltung der Spiritualität im visionär geschauten Kopf des Apostels Petrus (Escorial). Es ist erregend, zu erleben, wie auf dem Weg Grecos die äußerlichen Attribute der Darstellung des Heiligen und Überwirklichen zurückbleiben, wie das Jenseits von seinen Gestalten Besitz ergreift, um sie schließlich vollkommen zu erfüllen.

Aus der geistigen Durchdringung der Themen in der toledanischen Frühzeit gebiert sich die Verschmelzung Grecos mit seinen Stoffen, die Inkarnation seiner Kunst in der Heiligkeit seiner Gestalten. Hätte Greco die geistige Summe seines religiösen Welterlebnisses nicht auf die Leinwand, sondern als Prediger oder Religionsphilosoph in Worte übertragen, dann gehgrte sein Lebenswerk vermutlich für alle Zeit zu den größten Schätzen katholischer Theologie.

Zur begnadeten Entwicklung Grecos gehört, daß seine malerische Kunstkraft harmonisch gleichzeitig sich mit seiner mystischen Weltdurchdringung entfaltete, so daß, zumal in seinem Spätwerk, nirgendwo ein künstlerisch unbewältigter Rest verbleibt. Köpfe, wie San Ildefonse San Pedro oder San Francesco, sind sowohl Gipfelpunkte der Malerei wie des katholischen Welt- und Jenseitserlebens. Farbe und Licht, entmaterialisiert und entwirklicht, gehen als Träger des Geheimnisses durch Form und Substanz hindurch. Gelehrte und Kunstphilosophen haben Jahrzehnte damit zugebracht, den Wegen der Farben und des Lichtes bei Greco nachzuforschen und nachzugrübeln.

Daß in Grecos Kunst außerdem ein ganzer Kosmos spanischen Lebens enthalten ist, ergibt sich bei seinem Rang von selbst. Die sonore spanische Feierlichkeit wird ebenso sichtbar wie das tödliche Pathos einsamer mittelmeerischer Seelen, wie der Geist toledanischer Landschaft und Atmosphäre. Seine Wiederentdeckung in der Gegenwart (Zeitgenossen nannten ihn „el divino“) ist kein Zufall, war doch 'ihm wie der modernen Kunst die Abbildung des Sichtbaren kein Ziel, opferte er doch die sinnliche Erfahrung dem Geistigen, immer tiefer in metaphysische Hintergründe hineinlauschend. Gott, Christus, La Santissima (der Spanier kennt den Ausdruck Madonna nicht), die Heiligen und Apostel werden in Grecos Gemälden zum charismatischen Credo, die Ekstase mancher seiner Gestalten wird ihm zur persönlichen Erfahrung.

Kehrer, der schon vor einem halben Jahrhundert sagte: „Wer über Greco schreibt, muß ihn erlebt haben“, hat in diesem Werk die ganze Fülle seiner Lebenserfahrung mit diesem Künstler niedergelegt. Jene Stellen in diesem Buche, in denen die lapidare Sprache des Wissenschaftlers im Feuer der Begeisterung aufflammt, sind erschütternd und unvergeßlich.

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