6796538-1971_13_08.jpg
Digital In Arbeit

Streiflichter über Avila

Werbung
Werbung
Werbung

Auf einem Hügel nordwestlich der kastil ischen Stadt Avila steht ein Wegkreuz, gebildet arts einem hohen, vertikalen Schaft und dem für diese Gegend charakteristischen kurzen Querbalken; es wird überdacht von einem auf vier Granitsäulen ruhenden Baldachin, dessen eigenartige Proportionen dem einfachen Bau eine Monumentalität verleihen, welche diesen zum Wahrzeichen der Stadt werden ließ.-. Vielleicht handelt es sich hier um einen „hito piadoso”, einen’Grenz- -oder Markstein religiösen Gedenkens, oder um eine „estaciön penitencial”, nämlich um einen Strafaufenthaltsort, einen Ort der Verbüßung einer Strafe oder einer allgemein üblichen Bußübung? Ganz geklärt wurde diese Frage niemals, feststeht jedoch folgende Begebenheit: Hier, vor diesem humilla- dero, einem bescheidenen und doch so ausdrucksvollen „Kreuz am

Wege”, knieten eines Tages zwei Kinder, ein sechsjähriges Mädchen und ihr kleiner Bruder, und baten inständig den Himmel, es möge ihnen die Gnade des Martyriums zuteil werden. Und es war ihnen ernst mit diesem Gebete. Sie merkten gar nicht, daß ein Reiter den Hügel zu ihnen heraufsprengte und plötzlich, wie erstarrt, einhielt Und ebenso plötzlich fühlten sie sich von der Hand des Reiters gepackt und auf das Pferd gehoben, das im Galopp die Stadtmauer-- entlang förmlich flog und — vor dem väterlichen Palast stehenblieb. „Da wären sie also”, sagte Don Francisco de Ce- peda seinem glückstrahlenden Bruder Alonso und seiner Schwägerin Beatriz de Ahumada, die sich viele sehr bange Stunden lang um die beiden Ausreißer gesorgt hatten. Endlich kam es dann heraus: sie waren mit ihrer „Auffindung” durch den guten Onkel gar nicht beglückt, sondern, im Gegenteil, sehr traurig; wo blieb jetzt das erstrebte Martyrium?! In den nächsten Tagen beruhigten sie sich jedoch bei dem Gedanken, man könne, wenn schon nicht Märtyrer, so doch wenigstens Eremit werden, wilde Tiere (die doch hoffentlich kommen würden!) durch liebevolles Verhalten zähmen und durch eifriges Beten und Singen sich auch ejnen — noch dazu weniger anstrengenden — Weg in die ewige Seligkeit bahnen. Aber auch mit diesem Vorhaben ging es nicht so glatt, wie die beiden Kinder, welche durch die aufmerksame Lektüre von Heiligenleben und -legenden nicht nur im jugendlichen Sinn Feuer gefangen hatten, sondern bereits vom Hauch einer wirklichen Inspiration berührt worden waren, es gemacht hatten. Die Eremitenhütte, in die sie sich zurückziehen wollten, um ihren

Plan durchzuführen, die vorderhand nur aus lose gefügten Steinen bestand, wurde schon am nächsten Tag zu ihrem größten Leidwesen durch einen scharfen Windstoß zerstört.

Wie dem auch sei, der Baldachin auf den vier Säulen, genannt „Cuatro Postes”, und was unter diesem lag oder gelegen sein mochte, wurde wohl bis jetzt noch nicht in seiner vollen Bedeutung erkannt, blieb aber als einmalig schöner, weiteste Horizonte erschließender Aussichtspunkt, ein äußerst beliebtes Ziel für den Wanderer zu Fuß, zu Pferde und zu Wagen. Als „La ciudad mejor amurallada del mundo” gilt Avila als die am besten ummauerte Stadt der Welt. Mit der Segnung des Baumaterials durch den Bischof von Oviedo, Don Pelayo, im Mai 1090 war der Beginn der Erbauung der Granitmauern gegeben. Die „maestres de jometria”, welche der SchwiegersoHh König Alfonsos VI., Conde Raimundo de Borgona, aus Cantabrien, Asturien, Burgos und Leon berufen hatte, waren Meister ihres Fachs und haben — wohl auf der Linie der Ringmauern des römischen Ovila — einen noch heute vollständig erhaltenen granitenen Mauerkranz geschaffen; dieser stellt mit seinen im Abstand von zirka 25 Metern aneinandergereihten Rundtürmen, welche, ebenso wie die

Umfassungsmauern, durchweg von Zinnen gekrönt sind, ein europäisches Unikum dar.

In 1140 Meter Seehöhe erhebt sich diese einzigartige Bergstadt, an deren Südseite das Kloster „La Santa” liegt, dessen Mauern einen vornehmen altkastilischen Wohn- palast bergen, wo am 28. März 1515 Teresa de Cepeda y Ahumada geboren worden war. Sieben Tage später, am 4. April, wurde sie in feierlichem Zuge zur Kirche San Juan getragen; vom Norden kommend, erklang die zarte Stimme der Glocke einer weit außerhalb der Stadtmauern liegenden Einsiedelei, in welcher, zur selben Stunde, in der Teresa die Taufe empfing, die Gründung und Einweihung eines Klosters vorgenommen wurde, das als „Convento de la Encamaciön” dreißig Jahre lang die Karmelitin Teresa de Jesus beherbergte. Hier ist ihr der Herr in der Gestalt des Kin- deS begegnet — und ihr Zeugnis über diese Begegnung hat in Papst Leo XIII. eine so tiefe Bewegung ausgelöst, daß er sich gedrängt fühlte, dieser in Worten Ausdruck zu geben: dieses Kloster ist „la tierra mäs santificada por la presencia de Cristo, despuės de los Santos Lu- gares”. Dieses Kloster ist durch die Gegenwart Christi zur heiligsten Stätte nach jenen des Heiligen Landes geworden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung