Ein Männchen-Zeichner mit Mission

Werbung
Werbung
Werbung

Zwar sträubte sich Haring zu Lebzeiten gegen Erklärungen seiner Bildsprache, hat aber gleichzeitig Aussagen dazu getroffen, die die Ausstellung nun aufschlüsselt.

JFK' s Ermordung, die Mondlandung, die Kubakrise, die Berliner Mauer, die Ausbreitung von AIDS -wer in die Keith-Haring-Ausstellung in der Albertina hinabfährt, wird schon auf der Rolltreppe in jene Themen eingeführt, die den US-amerikanischen Künstler stark prägten. So leichtfüßig seine vielfach reproduzierten, gesichtslosen Strichmännchen auf den ersten Blick daherkommen, so einfach zu konsumieren sie erscheinen, so galt sein Zeichnen in Wahrheit dem Aufbegehren gegen vieles. Haring wollte mit einfachen Mitteln und auch für Kunstlaien leicht verständlich gegen Gewalt, Unterdrückung, Rassismus, Kapitalismus, Zerstörung der Natur und die Konsumgesellschaft vorgehen.

Er sah bald, dass die abstrakten Werke, die er anfangs schuf, dafür ungeeignet waren. Nicht umsonst formulierte er: "Kunst ist nichts, wenn sie nicht jedes Segment des Volkes erreicht." Er ging in U-Bahnschächte, um dort illegalerweise in Windeseile auf unbenutzte Werbetafeln zu zeichnen, wodurch ihm stets der Nimbus anhaftete, dort der Gefahr einer Verhaftung ausgesetzt gewesen zu sein. Es waren diese kritischen Kommentare zu aktuellen Geschehnissen, die ihn berühmt machten und die seine Kunst an den einfachen Menschen brachten.

Bildgeschichten mit Bedeutung

Gleichzeitig begann er schon damals, das zu entwickeln, was in der Albertina nun als "Alphabet" Harings vorgestellt wird. Man geht seiner systematischen Zeichensprache nach und erläutert beispielsweise, welche Rolle der Hund, das krabbelnde Baby, ein roter Affe oder eine Raupe für die Aussage seiner Bilder haben. "Manche sind auf den ersten Blick leicht entschlüsselbar, Haring verleiht ihnen aber erst im Kontext ihre wahre Bedeutung", sagt Kurator Dieter Buchhart. "Einige Bild-Wörter veränderte Haring über die Jahre seines künstlerischen Schaffens markant. Und doch gibt es stets eine grundlegende Ordnung und Abfolge, vergleichbar einem Alphabet. Harings Bildwörter erschließen sich unserem Gehirn binnen weniger Nanosekunden und bilden in ihrer Zusammenfügung oder Abfolge Bildgeschichten, die viele Bedeutungsmöglichkeiten eröffnen." Zwar sträubte sich Haring, wie im Katalog zitiert wird, zu Lebzeiten gegen Erklärungen seiner Bildsprache - ja, eine solche "laufe dem Grundprinzip ihrer Existenz zuwider" - doch habe Haring gleichzeitig viele Aussagen dazu getroffen, die Buchhart nun mit ehemaligen Mitarbeitern Harings aufschlüsselte. "Dadurch wollen wir ein schnelles Durchlaufen, bei dem jeder denkt 'cool' und 'lustig' denkt, verhindern, sondern die Bedeutungsebene darunter präsentieren. Schließlich war er einer der politischsten Künstler seiner Zeit."

Fast schon hellsichtig

Ob Herz, Schlange, Atomreaktor, Pyramide, Radio und UFO -mit jedem der einfachen Piktogramme, die oft durch Strahlenkränze positiv aktiviert wurden, transportiert Haring gleich vielfache Bedeutungen. Da wird ein roter Affe von vielen bejubelt -er ironisiert den Tanz um das Goldene Kalb. Beim Hund wird es schon schwieriger: Das Symbol, das er am meisten verwendete und das er auch gleichsam als Signatur nutzte, kann für Gerechtigkeit stehen, aber auch zur Bestie werden und Machtmissbrauch symbolisieren, Ordnungsmacht ebenso sein wie Underdog. Fast schon hellsichtig möchte man jene Bilder nennen, in denen Menschen ob der medialen Informationsflut der Kopf explodiert oder in denen die Raupe mit dem Computerkopf die Angst vor neuen Technologien ebenso verkörpert wie jene vor der potenziellen Kontrolle der Maschinen über uns.

Zunehmend apokalyptisch

Die Albertina zeigt nicht nur die Entwicklung des Alphabets, sondern auch jene des Künstlers, der vor 60 Jahren geboren wurde und 1990 an AIDS verstarb. Die eingangs genannten Meilensteine der Geschichte ließen seine Werke immer apokalyptischer werden, Dämonen und Fabelwesen, fliegende Totenschädel, Leichen und mehr tauchen auf -bis er schlussendlich mit seinen grauenerregenden Wimmelbildern sogar an Hieronymus Boschs "Garten der Lüste" erinnert und eine gequälte Menschheit zeigt.

Die Augen öffnen für die Probleme der Gegenwart und Zukunft, soziale Grenzen überwinden und Menschen aufrütteln - das wollte Keith Haring. Ein Männchen-Zeichner mit Mission.

Keith Haring. The Alphabet bis 24.6., Albertina, Wien täglich 10 bis18 Uhr Mi und Fr bis 21 Uhr www.albertina.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung