Kunst in höchster Bedrängnis

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Österreichische Malerei und Grafik der Zwischenkriegszeit in der Tiroler Landesgalerie im Taxispalais.

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Österreichische Malerei und Grafik der Zwischenkriegszeit in der Tiroler Landesgalerie im Taxispalais.

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Wenn es um die Freiheit geht ...": Das Zitat des Wiener Malers Herbert v. Reyl-Hanisch wurde zum Titel der bis 18. März 2001 laufenden Ausstellung in der Tiroler Landesgalerie im Taxispalais erhoben. Eine etwas spektakuläre Bezeichnung für die bildende Kunst zwischen 1918 und 1938 in Österreich - könnte man räsonierend bemerken, bedenkt man das Kunstgeschichtsbild dieses Zeitabschnittes, wie es uns in verleugneter Trauer teilweise vereinfacht (verfälscht?) gerne vor Augen geführt worden ist. Tauchen, zum Beispiel, doch Werke mit brisantem politischem Inhalt oder solche von Frauen in staatstragenden Shows (1996 in Bonn) recht spärlich auf (oder unter). Arbeiten von Emigranten, Vertriebenen, in Lagern Ermordeten konnte man eher mit der Lupe suchen.

"Alles ganz zu Unrecht", sagt Christoph Bertsch, Professor für Kunstgeschichte an der Uni Innsbruck, Kurator der innovativen Innsbrucker Ausstellung, die zuvor in Pisa für Aufsehen sorgte. Anhand von 100 entscheidenden Exponaten prominenter Maler und Grafiker, aber vor allem markanter, lange ignorierter oder gar vergessener Außenseiter will Bertsch der noch immer nicht totzukriegenden Meinung zu Leibe rücken, österreichische Zwischenkriegskunst sei provinziell oder gar rückständig.

In mehreren großen Abschnitten bestimmt das Kunstwollen dieser von Wirrnissen, Revolten, Hunger und Leid erfüllten Zeit den ergreifenden Aufbau der Großdokumentation im Taxispalais. Da ertönt einmal der Schrei nach Freiheit in unterschiedlich expressiven Spielarten mit Werken von Egger-Lienz, Kubin, Kokoschka, Oskar Laske, Friedl Dicker, Otto R. Schatz und anderen.

Ihnen stehen die bildhaften Auseinandersetzungen mit dem Zeigeist und persönlicher Ausbruchsversuche in eine Welt des Übersinnlich-Surrealen gegenüber: Rudolf Wackers lädiert-erstarrtes Puppengenre, zum Beispiel, mit dem Hampelmann als verschämt-aggressivem Phallussymbol hängt eng mit einer Neudefinition der Geschlechterrollen zusammen. Die "Seelenlandschaften" von Herbert Reyl-Hanisch - hier erstmals zum Zyklus geschlossen - sind Botschaften eigener Befindlichkeit in Zeiten großer Bedrängnis. Edmund Kalb wiederum versenkt sich mit seinen Selbstbildnissen in die Leiden innerer Emigration, Künstler wie Ernst Nepo, L. Sebastian Humer oder Herbert Ploberger treten die Flucht in die Neue Sachlichkeit an, während vor allem Frauen wie Erika Giovanna Klien, Fritzi Nechansky, Helene Taussig (ermordet im KZ) die Befreiung vom Gegenständlichen im Wiener Kinetismus suchen, der Merkmale des Kubismus, Expressionismus und der Abstraktion aufweist.

Alles in allem ein erschütternder und zugleich spannender Rückblick auf eine Kunstzeit voller Themendramatik und -problematik, deren Qualität nach dieser hervorragenden Ausstellung nicht mehr in Frage gestellt werden kann.

Parallelausstellungen: RLB Tirol, Innsbruck: Ernst Nepo Universität Innsbruck, Geisteswissenschaftliche Fakultät: Herbert v. Reyl-Hanisch

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