Leichtigkeit, in Form gegossen

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Eine Schau im Kunsthistorischen Museum in Wien zeigt Werke des Bildhauers Giambologna.

Fast schwerelos balanciert eine nackte Männerfigur mit Flügeln an den Füßen auf nur einer Zehenspitze. Der Körper ist spiralförmig gedreht und extrem gestreckt. Von der Behäbigkeit, die man mit Bildhauerei verbindet, ist hier nichts zu spüren. Der Götterbote des italienischen Bildhauers Giambologna scheint tatsächlich zu fliegen, auch wenn er in Bronze gefertigt wurde. Bei keiner zweiten Skulptur der Kunstgeschichte ist der Kampf gegen die Materialität so erfolgreich ausgefochten worden wie bei dieser. Der fliegende "Merkur" zählt zu den bekanntesten europäischen Skulpturen - der Bildhauer dieses genialen Werks, das es in verschiedenen Varianten und Größen gibt, steht allerdings bis heute im Schatten seines berühmten Vorgängers Michelangelo. Unverständlich für Claudia Kryza-Gersch - Kuratorin einer Giambologna-Schau im Kunsthistorischen Museum: "Florenz wäre ohne ihn in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts künstlerisch in Bedeutungslosigkeit versunken. Vor allem seine mehransichtigen Figurengruppen bleiben noch für Jahrhunderte richtungsweisend."

Als gebürtigem Flamen gelang es Jean Boulogne, der als Giambologna am Hofe der Medici in Florenz bald zu Ruhm gelangte, die italienische Bildhauerei zu beleben. Michelangelos übergroßes Erbe hatte zu einer Art Erstarrung geführt - erst die Leichtigkeit und der Erfindungsreichtum Giambolognas zeigten einen Weg aus der Sackgasse. Charakteristisch für Giambologna ist die bis ins Extreme gesteigerte Komposition der "Figura Serpentinata" - lang gestreckte, schlanke und muskulöse Körper, die sich in komplizierten Spiraldrehungen "hochschrauben".

Weiblich, männlich: egal

Giambologna war aus heutiger Sicht ungemein modern. Ihm ging es in seiner Kunst weniger um das Thema als um die perfekte Form. Anstelle von tiefgründigen mythologischen oder religiösen Inhalten befasste er sich beinahe zwanzig Jahre lang ausschließlich mit der Darstellung des nackten menschlichen Körpers und der Verschränkung mehrerer Figuren. Wie sehr Giambologna nahezu abstrakt vorging, zeigt sich daran, dass männliche und weibliche Figuren oft austauschbar erscheinen, so zurückgenommen sind die Geschlechtsmerkmale. Eine Giambologna-Skulptur anzuschauen bedeutet für den Betrachter, selbst ständig in Bewegung zu sein. Denn jede Ansicht ist gleich wichtig. Ein Merkmal, das bereits Zeitgenossen faszinierte. So hat Francesco de' Medici Giambolognas "Apollo" (1573/75) als einzige von acht Skulpturen seines legendären "Studiolo" auf einer Drehscheibe montieren lassen - damit er die Figur je nach Lust und Laune von allen Seiten bewundern kann. Giambologna hat also bereits damals erkannt, dass ein Kunstwerk für seinen Betrachter besonders spannend ist, wenn er es nie ganz erfassen kann - wenn er selbst in höchstem Maße gefordert wird. Durch die Brille der Gegenwartskunst betrachtet, wirkt Giambologna auch zeitgemäß, weil er nicht einsam an seinen Figuren werkte, sondern eine gut funktionierende Produktionswerkstatt betrieb. Für ihn standen die künstlerische Erfindung und die europaweite Verbreitung seiner Ideen im Vordergrund. Ob das Werk von ihm selbst oder von einem seiner Mitarbeiter ausgeführt wurde, war weniger relevant. Ein Problem stellt diese Massenproduktion allerdings heute für den Kunstmarkt und die Forschung dar, ist man doch nie sicher, ob man einen authentischen Giambologna vor sich hat.

Erstmals Marmor

Einige der schönsten Giambologna-Kleinbronzen besitzt Wien, was dem Kunstsinn Kaiser Rudolfs II. zu

verdanken ist. In der Sommerausstellung des Kunsthistorischen Museums werden sie großformatigen Leihgaben aus Italien gegenübergestellt. Zu den Highlights der auf einen Raum konzentrierten Schau gehört der lebensgroße Medici-"Merkur" (1580) aus dem Bargello Museum in Florenz, der überhaupt erstmals für eine Ausstellung verliehen wurde. Erstmals in Wien zu sehen ist auch eine Marmorskulptur des Bildhauers. Bei "Fata Morgana" (1571/72) handelt es sich um eine bewusst fragmentierte Frauenfigur, die ursprünglich in einem muschelförmigen Becken stand - umspült von Wasser, was den Eindruck einer mystischen Erscheinung hervorrufen sollte.

Die Giambologna-Schau gehört zu den sehenswertesten Kulturevents dieses Sommers, weil man die Stärken der eigenen Sammlung hervorgehoben hat und zugleich erstklassige Leihgaben zeigt. "Triumph des Körpers" ist zwar wesentlich kleiner als die im heurigen Frühjahr im Bargello gezeigte Gesamtschau - Giambolognas unermüdliche Suche nach der idealen Form wird aber gerade durch die Konzentration auf wenige Motive in mehreren Varianten besonders gut nachvollziehbar.

GIAMBOLOGNA

Triumph des Körpers

Kunsthistorisches Museum

Maria Theresien-Platz, 1010 Wien

www.khm.at

Bis 17.9 Di-S0 10-18, Do 10-21 Uhr

Katalog hg. v. Wilfried Seipel; e 49,90

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