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Meister neuer Balance

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Dieser Merkur des Giovanni da Bologna! Auf den Zehenspitzen balancierend, mühelos das Gleichgewicht haltend, fliegend fast, schwebt er dahin. Ein Meisterwerk des Manierismus. Zart. Symbol der Schwerelosigkeit, der verhaltenen Erotik.

Ein französischer Ministerpräsident hat eine Statuette von Giambologna als Siegel verwendet. So konnte er sie mehrmals am Tag in der Hand halten.

Giovanni da Bologna: der „größte Bildhauer der italienischen Renaissance“, das „Bindeglied zwischen Michelangelo und Bernini“, der „Massenfabrikant von Kunst“; solche Schlagworte hört man allethal-ben.

Eigentlich heißt er Jean de Bou-logne und stammt aus Flamen, aus einem Land, das unter Habsburgs Herrschaft liegt. Mit zwanzig Jahren kommt er nach Rom, lernt dort Michelangelo kennen, studiert die römische Plastik und Architektur. Auf der Rückreise wird er in Florenz aufgehalten und bleibt dort: Am Hof der Medici.

Florenz zur Zeit Giambolognas: Eine Stadt, die wirtschaftlich noch blüht, Kriege gewinnt, eine Handelsgroßmacht ist. Die Kunst jedoch droht zu erstarren, zum Gestus zu verkommen: Akademismus, phantasielose Michelangelo-Imitationen dominieren. Plastik als hohe Repräsentation. Bombastisch, pompös, doch flach, nichtssagend, geglättet. Verflachend bis zur Schmeichelei.

In dieses Lapidarium der Eitelkeiten kommt Giambologna: mit Schwung, mit dem unbändigen Ehrgeiz, ein „neuer Michelangelo“ zu werden, ein Erneuerer der Klassik. Er möchte das starre Kompositionsschema zerstören, die klassische „fi-gura piramidale“, die Dreieckskomposition, die als Muster der Renaissanceplastik gilt.

Michelangelo hat das Schema schon ansatzweise gesprengt: in seiner letzten Pietä im Florentiner Dom. Da zerbröckelt die klassische Einheit, die klassische Klarheit. Nach seinem Tod fallen die meisten wieder zurück. In Einfallslosigkeit, in eine Kunstproduktion, die sich an geneue Regeln hält. In Starrheit und leere Größe.

Giambologna nun entwickelt die Ansätze Michelangelos in der Tat weiter: konsequent löst er die Ruhe und Starrheit der Figuren auf, dreht sie, bringt sie in Bewegung. Seine

Statuen stehen nicht mehr: sie stehen auf dem Sprung.

Der Ausdruck einer neuen Körperlichkeit, einer neuen Sinnlichkeit. Der Mensch wird sich seiner Schönheit bewußt. Es geht nicht mehr so sehr darum, Geist zu verkörpern oder Ideen darzustellen. Das scheinbar Überflüssige wird wichtig: Die Schönheit, die Laszivität, der Luxus eines Bürgertums, dessen moralische Kraft nachgelassen hatte.

Giambologna hat das erkannt: hat seinen Individualismus, seine Liebe zum überflüssigen Detail, zur Oberfläche und Äußerlichkeit verbunden mit Komposition, mit Formwillen. Dabei ist Widersprüchliches entstanden. Der Widerspruch zwischen formaler Glätte und psychischer Unruhe. Zwischen Verspieltheit, Koketterie und Machtbewußtsein. Man mußte nicht mehr durch Kunst,bestätigen, wer und was man war; man konnte sich spielerisch zeigen, scheinbar desinteressiert an Macht und an Einfluß. Michelangelo mußte noch die Macht, die Gewalt und die Intelligenz seiner Auftraggeber verbildlichen. Giambologna nur mehr deren Luxus, deren Sehnsüchte und Träume.

Er mußte nicht Reales zeigen und konnte deshalb realistisch sein. Ohne den permanenten Zwang zur sinnträchtigen Metapher. Das waren seine Freiheiten.

Der „Raub der Sabinerinnen“, vielleicht die berühmteste Plastik Giambolognas, ist Beweis dafür: Da geht es nicht so sehr um die Darstellung der Macht der Römer, um die Darstellung von nackter Gewalt. Da geht es um körperliche Momente und um formale Neuerungen. Rohe Kraft wird zur Choreographie sublimiert.

Im Kunsthistorischen Museum in Wien sind die Meisterstücke von Giambologna versammelt, die Statuetten, die Bronzepferde, die Allegorien, der berühmte Herakles-Zyklus. Zusammengetragen aus allen Ländern Europas: Leihgaben aus England, Italien und aus dem Louvre.

Eine großartige Ausstellung. Sorgfältig zusammengestellt. Geordnet nach Themen, nach Figurengruppen.

Giambologna war immer außerordentlich beliebt. Allein in Wien gibt es mehr als zwanzig Werke von ihm. Auch in Privatbesitz. Die gegenwärtige Ausstellung zeigte fast alle davon. Man sollte sie nicht versäumen.

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