Auf_der_Adamant.jp - © Panda Lichtspiele.

„Auf der Adamant“: Schwimmender Zufluchtsort

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Der Dokumentarfilm wurde bei der Berlinale 2023 mit dem Goldenen Bären für den besten Film ausgezeichnet.

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Der Dokumentarfilm wurde bei der Berlinale 2023 mit dem Goldenen Bären für den besten Film ausgezeichnet.

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Die Überraschung war groß, als der Dokumentarfilm „Auf der Adamant“ bei der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde. Ziemlich still war es nämlich um den französischen Dokumentarfilmer Nicolas Philibert geworden, nachdem er 2002 mit „Sein und Haben“ seinen größten Erfolg gelandet hatte. Wie Philibert dort eine einklassige Dorfschule in der Auvergne mit der Kamera weitgehend kommentarlos durch ein Schuljahr begleitet, so fängt er auch in „Auf der Adamant“ mit geduldigem Blick den Alltag im titelgebenden Tageszentrum für Erwachsene mit psychischen Störungen ein. Dieses befindet sich aber nicht an Land, sondern ist ein im Zentrum der hektischen Metropole Paris auf der Seine vor Anker liegendes mächtiges Holzschiff. Hier finden die am Rand der Gesellschaft Stehenden Ruhe und werden mit unterschiedlichen Workshops gefördert. Das Betreuungspersonal, das nicht nur aus Psychiatern und Pflegern, sondern auch aus Kunsttherapeuten besteht, bleibt eher am Rande, denn der Fokus liegt auf den Patienten. Nah dran ist die Kamera an ihnen, doch nie kommt das Gefühl von Voyeurismus auf, denn immer ist die Empathie des Regisseurs spürbar.

Menschen die Würde zurückgegeben

Lange sieht er so einem fast zahnlosen Mann beim Singen zu, beobachtet eine erst vor Kurzem eingebürgerte Bulgarin beim Singen der Nationalhymne ihrer Heimat, bis sie in Tränen ausbricht, oder hält fest, wie eine Frau ein zunehmend flammendes Plädoyer für einen Körperworkshop hält. In der Geduld, mit der auf diese schwer angeschlagenen Menschen geblickt wird, wird Respekt spürbar, werden sie ernst genommen und ihnen ihre Würde zurückgegeben. Auf ein stringentes dramaturgisches Konzept verzichtet der 72-jährige Regisseur, der den Film zusammen mit der klinischen Psychologin und Psychoanalytikerin Linda De Zitter entwickelte. Lose reiht er vielmehr Szenen aneinander, hält sich selbst weitgehend zurück und begegnet den Besuchern dieses Tageszentrums auf Augenhöhe. Nur mit ganz wenigen Fragen aus dem Off meldet er sich zu Wort und verzichtet auch auf extradiegetische Filmmusik. Dieser Direct-Cinema-Stil erinnert an die Filme Fréderic Wisemans, doch im Gegensatz zum Amerikaner interessiert sich Philibert nicht für eine Durchleuchtung der Institution, sondern rückt die Menschen in den Mittelpunkt. In dem Raum, den er dabei seinen nicht in gesellschaftliche Normen passenden, eigenwilligen und teils auch ziemlich verwitterten Protagonisten zugesteht, wird die tiefe Menschlichkeit dieses Films spürbar, der diese schwimmende Zufluchtsstätte als einen Ort feiert, an dem es möglich und erlaubt ist, anders zu sein, und an dem man dennoch völlig akzeptiert wird.

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