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Endlich auch auf Deutsch erhältlich: "Frau Judith", ein Klassiker von Ivan Cankar.

Sämtliche österreichische Klassiker sind in die slawischen Sprachen übersetzt, umgekehrt müsste man nach Werken geradezu fahnden.

Diese Behauptung könnte man lediglich für den slowenischen Jahrhundertschriftsteller Ivan Cankar (1876-1918) nicht mehr apodiktisch aufstellen, seit ihn Erwin Köstler in das Deutsche übersetzt. Mittlerweile liegen in einer Werkausgabe neun der rund dreißig Werke Cankars in adäquaten Übertragungen vor, die neueste ist der Roman "Frau Judit".

Fin de siècle

Wie eine Legion slawischer Dichter aus den Kronländern der Monarchie ist auch Ivan Cankar zum Studium in die Metropole gegangen, was ihn befähigen sollte, als Akademiker nach Ljubljana zurückzukehren. Wien war damals zugleich Verheißung und Bedrohung: Man konnte Bildung erwerben und Identität verlieren. Oder man konnte in der Stadt der akademischen Bildung bleiben. Ivan Cankar hat viel Bildung erworben, keine Identität verloren und einige Zeit in Wien, slowenisch: Dunaj, gelebt. In dieser Stadt hat er einige Werke verfasst und deren Inhalt zum Teil auch dort angesiedelt.

"Frau Judit" entstand im Jahr 1904 in Wien und erschien im Dezember desselben Jahres im Laibacher Verlag Schwentner. Eigentlich eine Kulturschande, dass eine Nation und Sprache mit Kultur und Tradition fast einhundert Jahre lang einen großen Roman aus der unmittelbaren Nachbarschaft sozusagen verschweigt.

Der Roman aus den Ausläufern des Fin de siecle behandelt ein typisch "dekadentes" Thema mit erotischen Ansätzen. Vergeblich versucht eine verheiratete, gut situierte Dame der stickigen Atmosphäre einer slowenischen Kleinstadt zu entkommen, indem sie Affären, wie es damals geheißen hat, mit jungen Männern unterhält. Auch der erhoffte Ausbruch aus der slowenischen Enge durch eine Reise in das großstädtische Wien erweist sich letztlich als Trugschluss.

Eine starke Frau

Der Roman birgt das Zuendegehen und die Hoffnung auf einen Neubeginn mit Freiheit in sich, einer Freiheit, die alle Bereiche des Lebens umfasst. "Frau Judit" ist ein Buch, das - mit einem satirischen Akzent - die Gesellschaftsmoral entlarvt, gleichzeitig ist es ein Zeugnis des Kulturkampfs und des Auflebens des Fortschritts in Slowenien.

Ivan Cankar hat mit seiner Heldin eine starke Frauengestalt in die slowenische Literatur gestellt. Wäre der Roman früher übersetzt worden, wäre Judit heute nicht nur eine slowenische, sondern eine weltliterarische Gestalt.

Ivan Cankar war einer der wesentlichen Autoren der Moderne seiner Literatur, vergleichbar mit den Repräsentanten der Wiener Moderne wie Peter Altenberg, Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal oder Arthur Schnitzler. Auch Cankars "Frau Judit" steht in einem Naheverhältnis zu berühmten Vorbildern, die diese Schriftsteller geschaffen haben. Diese Tatsache dokumentiert die Verbindung zwischen der Wiener und der slawischen Moderne der Monarchie. Letztlich könnte man Ivan Cankar, der im Jahr 1907 auf der sozialdemokratischen Liste ein Landtagsmandat angestrebt, aber nicht erreicht hat, in die altösterreichische Tradition stellen.

Erwin Köstler kommt das große Verdienst zu, Ivan Cankar für die deutschsprachige Literatur erschlossen zu haben, womit er eine Verpflichtung eingelöst hat, deren Erfüllung überfällig war. Nicht ohne Grund ist der Übersetzer, der in diesem Fall ausdrücklich erwähnt sei, für seine Leistungen mehrfach ausgezeichnet worden.

Frau Judit

Roman von Ivan Cankar

Aus dem Slowenischen übersetzt und mit einem Nachwort von Erwin Köstler

Drava Verlag, Klagenfurt/Celovec 2003

167 Seiten, geb., e 19,50

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