Lebenslauf eines Idealisten

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Die Neuübersetzung eines Klassikers der Weltliteratur ist Erwin Köstler mustergültig gelungen: "Martin KacÇur" von Ivan Cankar.

Ivan Cankar gehört neben Oton ZupancÇicÇ, Pavle Zidar, Boris Pahor oder Niko Grafenauer und anderen zu den bestimmenden Schriftstellern der slowenischen Literatur der letzten einhundert Jahre und ist der bedeutendste Vertreter der slowenischen Moderne. Sein Gesamtwerk umfasst über dreißig Bände, vorwiegend Dramen, Gedichte, Erzählungen und Romane. Cankars kritischer schriftstellerischer Blick galt den sozialen und nationalen Problemen seiner Zeit, die ihm sowohl aus Ljubljana als auch aus Wien geläufig waren.

Als slowenischer Autor thematisierte er zunächst Fragen seines Volks. Sein Stil war - unter Gebrauch symbolistischer und impressionistischer Mittel - naturalistisch. Durch den literarischen Einfluss, den Wien, wohin er im Jahr 1896 als Zwanzigjähriger zum Studium zog, bewirkte, bekamen manche seiner Bücher Bedeutung auch für die Weltliteratur. Am markantesten sind wohl die Beschreibungen des Elends in der Hauptstadt des Vielvölkerreichs, für dessen Reichsrat er im Jahr 1907 als Vertreter der Sozialdemokratischen Partei kandidierte, allerdings ohne Erfolg, was ihn nicht abhielt, sich öffentlich zu Wort zu melden. In diesem Sinn ist er gewissermaßen ein Vorläufer seiner Kolleginnen und Kollegen, die in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Jugoslawien große gesellschaftliche, politische und kartografische Veränderungen bewirkt haben.

Der Roman "Martin KacÇur" ist nicht unbedingt sein bekanntestes Werk, gehört jedoch zweifellos zu den wichtigsten und liegt nun in einer gültigen Neuübersetzung des ausgewiesenen Cankar-Experten Erwin Köstler vor.

Das Buch ist der "Lebenslauf eines Idealisten", wie es im Untertitel nicht ohne Sarkasmus heißt, und zwar eines gescheiterten. "KacÇur" erschien, was nebenbei erwähnt sei, im Jahr der Reichsratskandidatur des Autors - wurde allerdings auf 1906 rückdatiert. Die italienische Wochenzeitung "Europeo" hat das Buch im Jahr 1986 zum "europäischen Roman des Jahres 1906" gewählt. In der Saison 1984/85 wurde eine von Fulvio Tomizza dramatisierte Fassung am Wiener Volkstheater uraufgeführt.

Aufklärerischer Protagonist

Der Roman behandelt die Zeit am Ende des vorvorigen Jahrhunderts, als das slowenische Schulwesen liberalisiert wurde. Martin KacÇur, ein junger und idealistischer (!) Lehrer, der wegen seiner politischen Gesinnung versetzt worden ist, beginnt auch an seinem neuen Dienstort, aufklärerisch zu wirken. Von den Kollegen im Stich gelassen, muss er bald erkennen, dass er gegen die Autorität des Pfarrers nicht ankommen kann. Eine - zur Gründung eines Volksbildungsvereins einberufene - Versammlung endet mit einer allgemeinen Prügelei und bietet den Vorwand für KacÇurs neuerliche Versetzung.

Nun wird er Lehrer in Blatni dol, einem "Schlammloch", der Einsamkeit versucht er durch die Ehe mit der Wirtstochter zu entgehen. Er hat nicht die Kraft, in diesem Umfeld zu bestehen und wird zum Trinker. Als er nach mehr als einem Jahrzehnt in ein lichteres Dorf versetzt wird, trifft er seine früheren Kollegen wieder, die sich inzwischen zu Vordenkern der Freiheit ernannt haben und ihn, den an Leib und Seele Gealterten, als Klerikalen verspotten. Der Idealist, den seine Ehefrau vor den Augen der anderen betrügt, und dessen Kinder sich von ihm distanzieren, begehrt noch einmal verzweifelt gegen den Opportunismus auf. Letztlich muss er die Sinnlosigkeit seines volksbildnerischen Wirkens erkennen.

Der Herausgeber der ersten "Gesammelten Schriften" Ivan Cankars, Cousin Izidor Cankar, hat über "Martin KacÇur" festgestellt, er sei die "am besten gebaute, plastischste, stilistisch vollkommenste, gedanklich und formal am einheitlichsten konzipierte Erzählung". "Martin KacÇur", den neben der sprachlichen die formale Konzentration auszeichnen und der aus heutiger Sicht eine "historische Tiefendimension" aufweist, wie der Übersetzer im Nachwort anmerkt, gehört zu den meistgelesenen Werken der Slowenen.

Erwin Köstler hat den "aufklärerischen" slowenischen Klassiker mustergültig in das Deutsche übertragen. Nicht ohne Grund ist er für seine Übersetzungen mehrfach ausgezeichnet worden. Ein Glück für die slowenische Literatur überhaupt, dass sich im letzten Jahrzehnt mehrere hervorragende Übersetzer aus dem Slowenischen in das Deutsche profiliert haben, wobei neben Erwin Köstler Klaus Detlef Olof und Johann Strutz zu den wichtigsten zählen.

Martin Kacur

Lebensbeschreibung eines Idealisten

Roman von Ivan Cankar

Aus dem Slow. übersetzt, mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Erwin Köstler. Drava Verlag, Klagenfurt 2006. 240 Seiten, geb., e 21,60

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