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Frederic Mortons Erinnerungsbuch 'Durch die Welt nach Hause": Ein Leben in zehn Tagen.

Es ist ein Freitagabend 1945 in der New Yorker Wohnung der aus Wien stammenden jüdischen Familie Morton. Während die Mortons den 30. Psalm singen, ist mit einem Mal aus dem Nebenzimmer Husten und ersticktes Stöhnen zu hören. Plötzlich wird die Tür aufgerissen. Warren, der amerikanische Freund des Morton-Sohns Fred, der zu Gast ist, stürzt heraus und rennt, sich den Bauch haltend, zur Tür hinaus. 'Mit wehendem Gebetsschal" stürzt Fred in höchster Besorgnis hinterher. 'Mein Gott, fehlt dir etwas?" fragt er Warren. 'Ihr habt alle Schweinsohren" und 'Todernstes, saufalsches Geleiere" und 'Ich konnte mich nicht mehr zurückhalten", japst Warren, der ein absolutes Gehör hat, unter mühsam unterdrücktem Gelächter. Der 19-jährige Fred Morton ist nicht amüsiert.

Die Anekdote allerdings ist eine der amüsantesten in Frederic Mortons Erinnerungsbuch 'Durch die Welt nach Hause". Es zeigt seinen Autor als feinen Erzähler, als guten Beobachter der eigenen Zerrissenheit eines Emigranten und als tief verbundenen Sohn und Ehemann. Mortons Stil ist unpathetisch, scharfzüngig und zärtlich, mit einem Unterton leiser Melancholie. Eitel und hellsichtig zugleich, besitzt er viel Sinn fürs Skurrile. Sein Leben durchschreitet Morton in zehn Kapiteln, die zehn Tagen entsprechen.

'Nasse, grellrote Flüche"

Ein Tag 1936 erzählt vom Schüler Fritz Mandelbaum, der in einem Wiener Kino Fred Astaires schwerelose Eleganz bewundert, während draußen die Nazis ihre 'nassen, grellroten Flüche" auf die Rollläden jüdischer Geschäfte schmieren. Wir begegnen ihm wieder im New York des Jahres 1942, in dem der Bäckergeselle Fred Morton - wie er nun im neuen amerikanischen Leben heißt - in Mr. Frosch's Souterrain-Bäckerei bei 40 Grad Muffinformen auswäscht; dann - 1945 - als College-Studenten, der heimlich auf der Bibliothek Romane schreibt und als blutjungem Creative-Writing-Professor im Mittelwesten des Jahres 1949, 'einem Ausländer, der die Sprache des Landes geraubt hat", darin seinen ersten, auch von Thomas Mann gelobten Roman veröffentlicht hat und auf seine geliebte Marcia wartet.

Später taucht er als inzwischen erfolgreicher Schriftsteller und Publizist auf, der 1960 gemeinsam mit Marcia bei den Mouton-Rothschilds Weihnachten feiert. 'Wir sind (wenn auch heimlich) resolut respektlos, damit uns die Flut der Opulenz hier nicht zu sehr begeistert", schreibt er ironisch. Sein Buch 'Die Rothschilds" wird ihn zu einem weltbekannten Autor machen, ihn 1967 - in Kapitel 8 - mitten in die Dekadenz der Schönen und Reichen von St. Moritz führen, während er sich nach dem Seidenhaar seiner neu geborenen Tochter in New York sehnt. Ein Tag 1972 zeigt ihn in Miami, im Alters-Domizil seiner Eltern: als stolz herumgezeigten Sohn auf einer pannenreichen Senioren-Tanzveranstaltung und als Berichterstatter beim Demokraten-Wahlkampf.

Der Kreis schließt sich in Kapitel 10, in dem Morton sich 1994 als Darsteller in einer Verfilmung seines Lebens in Wien aufhält. Was auf ihn zukomme, will da der Bub von ihm wissen, der die Rolle des Kindes Fritz Mandelbaum spielt. Und Morton antwortet: 'Die Dunkelheit Hitlers und das Helle Amerikas, die hypnotische, wundersame Helle, die blendet..."

DURCH DIE WELT NACH HAUSE

Von Frederic Morton, aus dem Amerikanischen von Susanne Costa

Deuticke Verlag, Wien 2006

319 S., e 22,10

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