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Garten der Geheimnisse

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Sacro bosco”, heiliger Wald, aber auch „Park der Monster” wurde der Schloßgarten von Bomarzo genannt, den Vicino Orsini, Fürst von Bomarzo, im 16. Jahrhundert in 20 Jahren schuf. Extravaganz war etwas, worum sich die Schöpfer der Gärten italienischer Fürsten generell bemühten, doch die Extravaganz des Gartens von Bomarzo überforderte Zeitgenossen wie Nachgeborene: Es gibt bis heute keine überzeugende, nachvollziehbare Deutung dieser Ansammlung riesenhafter exotischer Tiere, aus der Erde auftauchender Fischmäuler, körperloser Köpfe, kunstvoll baufälliger Architekturen, und so weiter, und so fort. Salvador Dali sah darin eine Vorwegnahme des Surrealismus.

Was im Sinne der neuen, von Gun-da Hinrichs vorgelegten Bomarzo-Theorie insofern viel für sich hat, als sich auch der Surrealismus als dem Traum entspringende, im Traum wurzelnde Kunst versteht. Die Autorin rückt dem Geheffcmis des Waldes von Bomarzo nicht mit den Werkzeugen der Kunsthistoriker, die bisher von diesem Rätsel abprallten, sondern auf völlig neue Weise zuleibe. Nämlich, indem sie die Monster im Wald der Geheimnisse als gelebten, nach außen projizierten Traum versteht und unter konsequenter Anwendung der Freudschen Psychoanalyse zu entschlüsseln versucht.

Sigmund Freud hätte sich über die ses Buch wahrscheinlich sehr gefreut, denn es wird nicht nur seine Methode korrekt angewendet - er hätte sich auch schwerlich ein überzeugenderes Ergebnis wünschen können. Wir können es hier nur in aller Knappheit wiedergeben, doch das wenige sollte genügen, um historisch interessierte Psychoanalytiker sofort nach diesem Buch greifen zu lassen.

Gunda Hinrichs konnte den Fürsten Orsini selbstverständlich ebenso-sowenig auf die Couch legen wie Freud weiland Leonardo da Vinci.

Doch sie untersuchte Orsinis Biogra phie, die durch zahlreiche erhaltene Briefe aus seiner und seiner Freunde Feder erschlossen ist, und wurde auf eine auch und gerade für das späte Zwanzigste Jahrhundert faszinierende Weise fündig: Die für das Ergebnis entscheidenden Traumata sind der frühe Verlust der Mutter (ein klassischer, häufig anzutreffender Befund) - sowie, vor allem, schwere Schuldgefühle wegen der, heutig gesprochen, Kriegsverbrechen, an denen der Fürst mit Sicherheit als Zeuge, aber höchstwahrscheinlich auch als Mittäter, beteiligt war.

1557 lockten die Bewohner von Montefortino eine Kompanie Orsinis in einen Hinterhalt und töteten sie bis auf wenige Mann. Als Vergeltung wurde, durch päpstlichen Befehl nur teilweise gedeckt, Montefortino bis auf die Grundmauern vernichtet und die gesamte Bevölkerung einschließlich aller Frauen und Kinder ermordet: Eine Vorahnung von Ora-dour. Die Zeitzeugen waren entsetzt, Orsini kam als Gezeichneter aus dem Krieg, zog sich nach Bomarzo zurück und litt lebenslang an Phasen von Melancholie, die immer schwerer wurden. Ein Kulminationspunkt der Untersuchung ist ein Satz über eine der Figuren: „Dieser Roland scheint den Widerspruch von humanistisch aufgeklärtem Geist und unmenschlich 2r Brutalität zum Ausdruck zu bringen, den Orsini in sich selbst nicht aushalten konnte, nachdem er als wahrhaft gebildeter Mensch mit der Bestie in sich konfrontiert worden war.”

Ob diese Deutung das letzte Wort ist oder nicht, sie enthüllt die aktuelle, uns angehende Dimension des Kunstwerks: Orsini blieb sich die Schuldgefühle, die so vielen unserer Zeitgenossen fehlen, nicht schuldig.

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