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Haß und Gewalt: eine Symbiose

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Über den Zusammenhang zwischen Haß und Gewalt wird viel zu wenig nachgedacht. Peter Paul Wiplinger versucht, sich dem Phänomen und der Struktur dieser symbiotischen Beziehung anzunähern und auch erste Antworten auf allzu aktuelle Fragen zu geben.

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Über den Zusammenhang zwischen Haß und Gewalt wird viel zu wenig nachgedacht. Peter Paul Wiplinger versucht, sich dem Phänomen und der Struktur dieser symbiotischen Beziehung anzunähern und auch erste Antworten auf allzu aktuelle Fragen zu geben.

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Haß zeugt Gewalt, Zerstörung, gewaltsamen Tod. Das Opfer ist der Mensch, sein Leben, seine Kultur. Das Opfer ist zunächst der Gehaßte, der Verfolgte, gegen den sich „der blinde Haß“ in seiner Gewalt richtet, später jedoch auch der Hassende, der Gewalttätige selbst, weil der Haß wie ein Bumerang zum Hassenden zurückkehrt und jede moralische Kraft in ihm vernichtet. Gewalt ist etwas Konkretes, etwas Reales, etwas klar Feststellbares. Haß hingegen ist etwas Irreales, ein nicht genau Faßbares, nicht Erklärbares, nicht Abschätzbares, nicht Kalkulierbares: in seiner Kraft, in seiner Eigendynamik, in seiner Dimension, die er erreichen kann, wenn er sich verselbständigt, wenn er sich trennt von jeder rationalen Kontrolle.

Haß kennt keine Maßstäbe, respektiert keine Grenzen, Haß haust ganz tief unten im Abgrund der Seele des Menschen, doch er ist leicht weckbar, aufrufbar, manipulierbar, dienstbar gemacht, dem der ihn braucht und benützt; denn er ist nur mit einer dünnen Zivilisationsschichte, wie mit Staub, bedeckt. Er schimmert immer einmal irgendwo durch. Er liegt wie eine Schlange im Tarnkleid unerkennbar im Sand und wartet. Irgendwann aber schlägt er zu; dann radikal, gnadenlos, blind. Dann sucht er sich seinen Weg in die Gewalt, die alles vernichtet.

Ein Phänomen: Uber Gewalt und über Gewalttäter spricht man; natürlich dabei nicht von sich selber, sondern von anderen. Man zeigt die Gewalt, die außergewöhnliche, nicht die alltägliche, unter dem Aspekt der Sensationslüsternheit, oft in voyeuristischer Aufmachung, aus der nicht Betroffenheit spricht, sondern eine Art von exhibitionistischer Geilheit und mediales Vermarktungsprinzip, das schamlos und schrankenlos in seinen Ausbrüchen und in seiner Selbstverständlichkeit ist; eine Art von makabrem Sonderprogramm gegen die Eintönigkeit des eigenen Alltags. Man zeigt die Gewalt in Reportagen, auf Titelseiten der Boulevardzeitungen, man berichtet von ihr; als Außenstehender, nicht als Betroffener, auch nicht aus und in Betroffenheit.

Man spricht aber nicht über, den Haß, der zur Gewalt geführt hat und führt. Gewalt ist irgendwie etwas Selbstverständliches, Begreifbares, Verständliches, ja oft auch angesehen als etwas Entschuldbares, als eine Reaktion auf den andern und sein Verhalten. Das kennt man aus der zwischenmenschlichen Beziehung, aus und in der Familie. So etwas kann schon einmal vorkommen, sagt man. Über den Haß, aus dem die Gewalt kommt, spricht man nicht; der ist irgendwie tabu. Gewalt zeigt sich, Haß ist zunächst verborgen, versteckt, und man zeigt ihn nicht, man spricht nicht darüber. Man kann zwar hassen - das ist so etwas wie eine persönliche Angelegenheit, eine Privatsache - aber solange dieser Haß nicht in Gewalt ausbricht, ist alles in Ordnung, so meint man. Ja mehr noch: Den Haß zügeln, bedeutet Persönlichkeitskultur haben, sich an die Zivilisationsgebote halten.

KEIN DAMM GEGEN GEWALT

All dies ist falsch, führt zu nichts, schützt nicht. Schützt nicht vor dem Ausbruch des blinden Hasses, vor dem Ausbruch der Gewalt. Die Geschichte beweist es tausendfach, jeder müßte es wissen aufgrund der eigenen Persönlichkeits- und Lebenserkenntnis. Der Damm zwischen Haß und Gewalt hält nicht, bedeutet keinen Schutz. Also müssen wir mit der Prophylaxe viel früher beginnen, nämlich dort, wo der Haß entsteht. Wir müssen erkennen und verstehen lernen, aus welchen Gründen und unter welchen Bedingungen der Haß entsteht, was seine Konditionen sind, auf welchem Nährboden er wächst. Nur so können wir Gewalt verhindern, indem wir ihr in der Bekämpfung, in der Ausschaltung des Hasses zuvorkommen. Das ist unsere einzige Chance - und die müssen wir nützen.

Woraus entsteht nun der Haß? — Das ist die erste Frage, auf die wir eine Antwort finden müssen, bevor wir die zweite stellen können, die lautet: Was können wir gegen die Entstehung, gegen die Verbreitung, gegen das Schüren, gegen die manipulative Benützung, gegen die Verselbständigung des Hasses tun? Wie kommt es zum Haß und welche Wege führen dorthin? Und vor allem auch: Welche Wege führen wieder aus dem Haß heraus? Eines wissen wir: Der Weg zum Haß ist kürzer, schneller zurückgelegt, als jener Weg aus dem Haß wieder heraus. Das Ziel des ersten Weges, der Haß, ist leichter und schneller, ja geradezu mühelos erreicht, als jenes Ziel des zweiten Weges, jenes mühevollen, langen Weges aus dem Haß heraus, der über die Vergebung, über die Verständigung zum Frieden führt.

Was ist es also, das den Haß gebiert; im einzelnen, in Gruppen, in Volksgruppen, in Völkern, in Nationen, in Staaten, in der Geschichte, in der Welt. Kommt er nur von außen, etwa dutch Zurücksetzung, durch Benachteiligung, durch Ungerechtigkeit, durch Chancenungleichheit, wie man das heute oft - bereits bagatellisierend, wahrheitsverzerrend und beschönigend — nennt? Kommt er durch den Egoismus und das schrankenlose Vorteilsdenken einzelner, von Gruppen, von Lobbys, von Konzernen, von Parteien, vom politischen und gesellschaftlichen Establishment, von denen, die Macht haben und Macht ausüben, oft diese Macht auch mißbrauchen, ungerechte Verhältnisse schaffen, die Wahrheit nicht zulassen; kurzum von jenen, die herrschen, von den Herrschenden, die die Gesellschaft nur allzuleicht in zwei Gruppen einteilen, in Herrschende und Beherrschte, in Abhängige und Unabhängige?

Jede Ungerechtigkeit, jeder Machtmißbrauch, jede Verdrängung der Wahrheit, jeder ungerechte und ungerechtfertigte Freiheitsentzug, jedes Vorenthalten oder Wegnehmen persönlicher Individualrechte, ja menschlicher Grundrechte überhaupt, sät den Samen des Hasses. Ein jeder, der sich in Selbstüberheblichkeit über den anderen erhebt, ist schon ein potentieller Unterdrücker, ein potentieller Gewaltausüber, Gewalttäter. Dies gilt für den einzelnen, für Gruppen, für Völker, für Staaten, für Nationen. Nationalismus ist immer mit Überheblichkeit verbunden.

HASS ENTSTEHT AUS OHNMACHT

Aus Überheblichkeit und Ungerechtigkeit entsteht in Reaktion auf der anderen Seite, auf der Gegenseite, Empörung, Wut, Zorn, Verbitterung; und oft aus dem Gefühl der eigenen Ohnmacht heraus eben der Haß, in dem Gewaltbereitschaft und Gewalt begründet sind. Das ist das eine: Haß, der aus der Unterdrückung entsteht und Gewalt im Sinne der Selbstverteidigung und des Freiheitskampfes hervorbringt. Dem gegenüber steht aber zuvor stets die Gewalt der Herrschenden, der Machthaber, die an der Macht bleiben, ja oft noch mehr Macht erobern wollen. Und natürlich gibt es auch den sozusagen „historisch begründeten Haß“, wie man das nennt; den zwischen politischen, ideologischen, aber vor allem auch nationalen Gegensatzgruppen; den Haß zwischen Völkern, Staaten, Nationen; ein Haß, der den Hassenden als, historisch begründet erscheint, der sich aber oft schon längst verselbständigt hat und somit völlig irrational geworden ist. Beispiele dafür gibt es genug: von Bosnien- Herzegowina bis Südafrika und Ruanda.

„Wer den Haß sät, wird Krieg ernten“, heißt das Sprichwort. Wir wissen, wie wahr dieses Sprichwort und diese Erkenntnis sind. Also müssen wir nicht nur den Krieg stoppen, sondern schon vorher den Haß. Ja, die Chance zur Erhaltung und Bewahrung des Friedens liegt in Wirklichkeit nur dort, daß man dafür Sorge trägt, daß der Haß gar nicht erst aufkommt, daß er keinen Boden findet. Das ist natürlich Utopie, wie wir ebenfalls wissen; aber wir müssen an diese Utopie als eine Möglichkeit glauben.

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