Fürchtet euch nicht!

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Warum hassen einander Menschen oft abgrundtief? Eine Konferenz in Wien ging dieser Menschheitsfrage nach.

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Warum hassen einander Menschen oft abgrundtief? Eine Konferenz in Wien ging dieser Menschheitsfrage nach.

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Wie ein Kontrapunkt zum bevorstehenden Weihnachtsfest, das doch Liebe und Frieden zum Inhalt hat, wirkte dieser Tage die Wiesenthal-Konferenz "Über die Quellen des Hasses" in der Wiener Hofburg. Zu Ehren von Simon Wiesenthal, der am 31. Dezember 90 Jahre alt wird, lud das Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen namhafte Gäste nach Wien ein, um eines der ernstesten Probleme der Menschheit zu behandeln.

Wie läßt sich der Haß erklären, wie er mitunter ganze Bevölkerungsgruppen erfaßt, wie er auch im angeblich so zivilisierten Europa immer wieder, bis zur aktuellen Gegenwart auf dem Balkan oder in Nordirland, schauerlich auftritt? Im menschlichen Herzen, "dort, wo Verstand und Emotion sich begegnen", beginnt für den Wiener Alterzbischof Kardinal Franz König, der zur Eröffnung der Konferenz sprach, der Haß: "Im Haß wendet sich der einzelne Mensch vom anderen endgültig ab, sucht ihn letztlich zu vernichten und vernichtet sich dabei allmählich selbst."

Im verlesenen Text des erkrankten Simon Wiesenthal kam zur Sprache, wie sehr die Juden im Lauf der Geschichte den Haß von Christen spürten und unter Diffamierungen durch die Kirche litten.

Auch wenn Religionen in der Regel die Liebe predigen, so kam und kommt doch immer wieder auch das Gegenteil vor. Von einer "Januskopf-artigen Natur der Religion zwischen einem emanzipatorischen Potential und repressiver Bedrohung" sprach der israelische Politikwissenschaftler Shlomo Avineri. Der kanadische Philosoph Charles Taylor hält Religion aber nur dann für eine Quelle von Haß und Intoleranz, wenn sie im Kampf um "Identität" zur "Abgrenzung" von anderen mißbraucht werde. Ein Rückgang von Glaube und Frömmigkeit würde das Problem nicht beseitigen, sondern verschärfen. Im Sog entsprechender politischer Bewegungen seien, so Taylor, nicht nur die monotheistischen Religionen, sondern auch die als toleranter geltenden Hindus und Buddhisten für Haß gegen Andersgläubige anfällig.

Als Wurzeln des kollektiven Hasses, wie er oft Angehörigen anderer Gesellschaftsschichten, Rassen, Nationen und Religionen entgegenschlägt, wurden auf der Wiesenthal-Konferenz sichtbar: der Neid, die Ohnmacht, das Gefühl der Schwäche, das Empfinden von Unrecht, die Angst um Macht, Vermögen und gesellschaftliche Position, um Dinge, die einem wertvoll oder sogar heilig sind, und auch das eigene schlechte Gewissen. Ein ewiges Menschheitsthema, mit dem sich nicht erst das Christentum mit seiner Lehre von der Nächstenliebe auseinandergesetzt hat, zeigt hier Konturen. Schon im alten Griechenland ließ Sophokles seine Antigone, die, sich dem Verbot des Königs widersetzend, ihren Bruder begrub, sagen: "Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da."

Das Problem des Hasses hat jedenfalls durchaus Bezug zur Geburt Jesu Christi, deren wenig idyllischer Hintergrund ja leicht vergessen wird: die beschwerliche Herbergsuche eines Mannes mit seiner hochschwangeren Frau in einer fremden Stadt, das Leben in einem Land mit ausländischer Besatzung, die Flucht vor einem grausam seinen Thron verteidigenden König. Obdachlose und Asylanten könnten zum Haß neigen, aber oft tun es noch mehr diejenigen, die sich vor Ansprüchen anderer fürchten, weil sie absolut nichts von ihrer Macht und ihrem Besitz hergeben wollen.

Ein wichtiger Schlüssel gegen das Aufkommen von Haßgefühlen ist sicher Freiheit, insbesondere die Freiheit von Angst. Mit dem vielsagenden Wort "Fürchtet euch nicht!" tritt der Engel den Hirten entgegen. Liebe gedeiht eher in Freiheit und Furchtlosigkeit, Haß eher in Unfreiheit und Angst. Wer frei von Angst ist, kann auch leichter frei von Haßgefühlen sein, und nur dann gehört er zu jenen Menschen "guten Willens", denen zu Weihnachten der Friede auf Erden zugesagt ist.

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