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Begegnung mit dem Feind

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Friedrich Heer über Feindschaft und die christliche Vision der Feindesliebe.

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Friedrich Heer über Feindschaft und die christliche Vision der Feindesliebe.

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Der Staat, die Gesellschaft ist das große Feld der Begegnungen mit den Gegnern, mit dem Gegner. Er ist als solche die Schule der Wirklichkeit, des Leidens, der Selbstüberwindung, die irdische Form des Kreuztragens. In diesem Sinn ist Staat immer „Hakenkreuz“, das seine Klammern und Klauen in unser Fleisch schlägt: die höchste Schola caritatis, die Schule der Erziehung zum eigenen Christsein, zum Ausreifen zur christlichen Persönlichkeit. Dies betrifft die eine personale Seite, dann aber gilt es noch die andere, die gesellschaftliche Seite zu beleuchten. In Ps. 113, 25 heißt es: Coelum est coelum Domini, terram autem dedit filiis hominum.

Der Himmel ist der Himmel des Herrn, die Erde aber gab Gott den Söhnen der Menschen – die unerhört wichtige Scheidung, die im Mittelalter zum erstenmal Dante in seinen Staatsschriften in ihrer ganzen Tragweite erkannt hat. Die Erde, das Arbeitsfeld des Menschen – cultura agri und cultura Dei – ehrfürchtige Pflege des Bodens und des Göttlichen, beides aber in der Civitas humana, in der Gesellschaft des Menschen.

Der Kampf aller gegen alle ist nicht christlich

Diese Gesellschaft der Menschen ist immer politisch, immer staatlich, das heißt, sie fordert uns auf zur Auseinandersetzung, zur Begegnung mit dem Gegner. Der vieltausendjährige Bürgerkrieg der Menschheit sollte es uns doch lehren, daß der Kampf aller gegen alle, der ständige militärische Kampf nach innen und außen nicht fruchtbringend, nicht christlich ist.

Wir wissen es aber gerade als Christen, daß das ganze irdische Leben ein „Kampf“ ist. Militia est vita hominum, militia christiana – ein Ringen mit den Mächten des Bösen. Germanische und keltische Fürstensöhne und Adelige haben vor tausend Jahren, seit den Tagen Leos IX., des Grafen von Egisheim, diesen Kampf aus der Brust des Christen in die Welt hinausprojiziert. Kreuzzug, Krieg gegen die „Heiden“ in Spanien, Ketzerkrieg, Kreuzzug gegen die Albigenser, später gegen slawische Völker, gegen die Hussiten, gegen die Protestanten, gegen die Proleten. Tausend Jahre „christlicher“ Kriege. Wir glauben, daß es Zeit ist, an der Wende der Zeit hier und heute diesen Kampf wieder endgültig dorthin zu projizieren, wo er seinen Platz hat, in die Brust des Menschen, des Christen, ihn dort aber zu ganz neuer Heftigkeit zu entfachen, in Entsprechung der Worte des Herrn: Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen, und was will ich anderes, als daß es brenne!

Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger als das Ende eines vielhundertjährigen christlichen Schlafes, denn unser Inneres muß sich in Brandherde, in Vulkane verwandeln, wenn wir den Haß, den Mord, den Neid , das Ressentiment, alles das, was wir so billig und leicht nach außen hin abreagieren, in Aversion gegen unsere persönlichen Gegner, auf uns, in uns aufnehmen und neu zu bewältigen, zu verarbeiten trachten. Bedenken wir konkret, was das bedeuten würde: die Katholiken hätten bis 1945 ihren Haß gegen die „Nazis“ und andere Gegner innerlich verarbeitet und aufgearbeitet, statt auf die Erlösung von Radio Straßburg und London zu hoffen. Es wäre seit 1945 ein ganz neuer Raum entstanden.

Bedenken wir, die Christenheit würde heute ihren Haß gegen den Kommunismus, aber auch gegen den Sozialismus und Marxismus usw. innerlich verarbeiten, es müßte morgen bereits eine neue Welt entstehen. Zu dieser neuen Aufarbeitung, zu dieser echten Verwandlung des äußeren Kampfes in einen inneren Kampf genügt aber nicht die Individualmoral und Individualseelsorge altes Stils. Ich kann täglich zu den Sakramenten gehen und alle möglichen persönlichen Frömmigkeitsübungen mitmachen und nicht ein Gramm Haß und Ressentiment gegen meine politischen Gegner niederkämpfen, einfach weil ich das nicht begreife.

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