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Höflichkeit ist aller haster Anfang

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Wenn man 65 Jahre Höflichkeit hinter sich hat, ist man dann noch imstande, darauf zu pfeifen?" Was passiert, wenn die hohe Hürde der Höflichkeit überwunden ist, das versucht die 28jähri-ge Belgierin Amelie Nothomb in ihrem neuen Roman „Der Professor" zu erzählen.

Ein pensionierter Lateinprofessor, sein Ehegespons Juliette und ihr Nachbar, Palamede Bernardin, ein Kardiologe, dazu dessen fettleibige, geistig behinderter Frau, sind das Personal einer zu Beginn harmlos anmutenden Geschichte. Emil und Juliette Hazel können sich im Alter endlich ihreiji lang gehegten Wunsch erfüllen - einjabgelegenes Haus auf dem Land. In ländlicher Idylle, ohne gesellschaftliche Verpflichtungen, wollen sie einzig trauter Zweisamkeit frönen.

Doch es soll anders kommen. Tag für Tag, Schlag vier Uhr nachmittags, findet sich der Nachbar im Hause der 1 lazels ein, verlangt den fast schon obligaten Kaffee und verläßt das Paar erst wieder punkt sechs. Die Versuche der beiden Eheleute, den harmlosen, wortkargen Eindringling loszuwerden, will die Autorin offensichtlich zu einem aufreibenden Psychodrama aufschaukeln. Das Dreieck, Emil, Juliette und Palamede, formiert sich täglich aufs Neue, quält sich und den 1 .eser über mehrere Seiten, Emils Anstrengungen, der Höflichkeit halber eine Konversation in Gang zu bringen, werden vom Gast, einem Kardiologen, regelmäßig abgeschmettert. Bis Emil erkennt, daß es allein seine guten Manieren sind, die den dreien im Weg stehen: „Ich ertappte mich bei dem Gedanken, wie herrlich es wäre, selbst einer ein Flegel zu seinL.Man könnte sich jede Taktlosigkeit erlauben und die Schuld den anderen zuschieben, als wären sie es, die sich schlecht benommen hätten."

Ein Abendessen zu viert wird zum degoutanten Desaster. Nicht genug daniit, strapaziert Nothomb die Geduld ihrer Leser über Gebühr, die Nachmittage wiederholen sich. Wenn vom fettleibigen Bernardin als von einem leeren Volumen die Rede ist, kcheint ein Vergleich mit vorliegendem Buch unerläßlich: „Die Walderdbeeren, die Eidechsen und die Aphorismen sind dicht und verheißen Fülle, während die großen Kürbisse, die Käse-Souffles und die Antrittsvorlesungen im gleichen Maße aufgebläht wie leer sind." Aufgebläht erscheint Nothombs zweiter Boman in der Tat, nicht zuletzt deshalb, weil die Autorin im Grunde genommen nichts Neues erzählt.

In einer schlaflosen Nacht gelingt es Emil, seinen Nachbarn bei einem Selbstmordversuch zu retten. Spätestens ab diesem Punkt deklariert sich die Erzählerin als Thriller-Aspirantin. Sie spaltet den Ich-Erzähler: Eines Nachts erkennt er, daß er eigentlich ein anderer ist. Das Ergebnis ist der perfekte Mord. Emil tötet den Kardiologen, um das beschauliche Leben an der Seite seiner nichtsahnenden Frau mit größter Höflichkeit fortzusetzen.

Zwei Romane hat Nothomb bislang geschrieben, dabei aber nicht mehr als eine Geschichte erzählt: Ihre Lieblingsopfer sind unattraktive, fette alte Männer, die Täter meist hinterhältige, indes nicht unintelligente Schwächlinge. Dazu kommt noch, daß das Ehepaar allein deshalb kinderlos geblieben ist, um die in früher Pubertätsphase entstandene Liebe aufrechtzuerhalten. Die Bewahrung kindlicher Unschuld, die indes die Protagonisten nicht am Ausleben ihrer Sexualität hindern kann, war in der „Beinheit des Mörders" Anlaß zum Mord des Erfolgsschriftstellers an seiner Jugendliebe. Diesmal ist sie nicht nur der Grund für die Kinderlosigkeit, sondern auch für die totale Bevormundung der Frau durch den Professor. In beiden Bomanen kommt es zum Mord.

Hoffentlich läßt sich die junge Autorin für ihren nächsten Roman mehr einfallen, denn mit ihrem Debüt hat sie auf ihr erzählerisches Talent aufmerksam gemacht, das aber diesmal durch eine wenig attraktive Handlung daran gehindert wird, geL bührend zu glänzen.

DER PROFESSOR

Roman. HB Von Amelie Nothomb. HH Diogenes Verlag, Zürich 1996. mm 196 Seiten, geb. öS 2)7,-

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