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Irrfahrten der Geister und der Menschen

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Gisele Pineaus erster Roman für Erwachsene ist von phantasievoller, bildhafter Erzählkunst, gespickt mit jeder Menge afro-karibi-schem Witz. „Die lange Irrfahrt der Geister” erzählt in Momentaufnahmen die Geschichte einer Familie über mehrere Generationen hinweg.

Da ist Leonce, der Schwarze, in Liebe entbrannt zur schönen Myrtha. „Jeden Tag ging Myrtha, einen Wassereimer auf dem Kopf, bigidam, bigidam, an ihm vorbei, ihre Hüften bewegten sich auf und nieder, schwangen in rotem Baumwollstoff. Und, in einem Graben versteckt, die Nase in den Gräsern, vor Leidenschaft dem Ersticken nahe, gab sich Leonce damit zufrieden, die Schöne zu bewundern.” Begabt mit übernatürlichen Fähigkeiten, erscheint ihm der Geist seiner Großmutter, deren Gesicht sich, mit Ausnahme ihrer weißen Haare, im Augenblick ihres Todes wieder in das eines jungen Mädchens verwandelte.

Oma prophezeit ihm: „Hör jetzt gut zu! Sie blies eine vorbeifliegende Feder weg, runzelte die Stirn, um die Gedanken zu ordnen, die ihr durch den Sinn schwirrten. Dann sprach sie wieder, in Eile, als sei ihre Zeit genau bemessen. Hör zu, mein Sohn! Deine Erstgeborene wird Celestina heißen. Gib ihr keinen anderen Namen! Als zweiter kommt ein kleiner Junge, aber er ist nicht für diese Welt bestimmt. Sage deiner Liebsten, daß sie Geduld haben und nicht zu viele Tränen vergießen soll, denn ihr werden Zwillinge gegeben, kurz vor ihrer letzten Frucht. Zot ke ni kat ti moun! Verlang nicht mehr vom Herrn! So ist es Dir bestimmt und damit basta.”

Da ist Celestina, die Tochter der beiden, die der Ich-Erzählerin die Geschichte von Sosthene, dem Großvater, erzählt, der einem eigenartigen Fluch unterliegt. Wie Aufnahmen in einem alten Familienalbum entwickelt sich ein Geflecht von Geschichten zwischen Hoffnung und zerstörten Träumen, Realität und Magie, Sonne und Schatten, Liebe und Tod, zwischen Geisterglauben und europäisch geprägter Vernunft.

Gisele Pineau wurde 1956 in Paris als Tochter einer kinderreichen Familie von Einwanderern aus Guadeloupe geboren. Mit 14 Jahren kehrte sie mit ihrer Familie auf die Antillen zurück, nach dem Abitur ging sie abermals für einige Jahre nach Frankreich, um in Nanterre Literatur und Sprache zu studieren. Aus finanziellen Gründen brach sie ihr Studium ab und begann eine Ausbildung als Psychiatrieschwester.

Ihre Kindheit in Paris war durch die Großmutter geprägt, die nur Kreolisch sprach und wunderbare Geschichten und Mythen aus der Heimat erzählte. Diese Geschichten nährten Giseles Sehnsucht nach der karibischen Insel.

Aber auch der alltägliche Rassismus der Umgebung machte dem Mädchen sein Anderssein bewußt. Auf der Suche nach der eigenen Identität begann Pineau zu schreiben. Nach einem Band mit Kurzgeschichten erschien 1992 ihr Jugendroman „Un papillon dans la cite” („Ein Schmetterling in der Stadt”). Die Autorin lebt heute wieder mit Ehemann und Kindern in Guadeloupe.

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