Rattensommer - © Verlag: Beltz & Gelberg

„Rattensommer“: Achterbahnfahrt der Gefühle

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Ein Jugendbuch über Trauer, Freundschaft und Rache.

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Ein Jugendbuch über Trauer, Freundschaft und Rache.

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„Ich bin Lou. Das ist die Hälfte von Louise. Eine Schwester von zweien.“ Die 15-jährige Ich-Erzählerin ist auf den Tag genau ein Jahr nach ihrer Schwester, einem Sternenkind, auf die Welt gekommen. Ihre Eltern assoziieren mit diesem Tag somit ihren größten Verlust, aber auch ihr größtes Glück. Lou hingegen hat das Gefühl, nur das „Back-up“ zu sein. Als eine Hälfte von einem Ganzen sieht sie sich auch in ihrer Freundschaft mit Sonny. Seit Kindheitstagen sind die beiden unzertrennlich, so unterschiedlich sie auch sind: Sonny ist lässig, abenteuerlustig und furchtlos, Lou angepasst, zurückhaltend und mit wenig zufrieden. Die Geschichte setzt am letzten Tag vor den Sommerferien ein, in ihrem Geheimversteck, einem verlassenen alten Schwimmbad mit einer schwindelerregenden Erkenntnis: Lou ist in Sonny verliebt. Und einer schrecklichen Nachricht: Hagen Bender, der Mörder von Sonnys Mutter, wurde vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen. Von da an hat Sonny nur noch ein Ziel: Rache. Sengend heiße Sommertage, auf die am Ende ein sintflutartiger Sturzregen folgt, sind hier weniger Hinweis auf den gegenwärtigen Wandel des Klimas als auf die aufgeladene Stimmung zwischen den Figuren.

Unausgesprochene Worte und verdrängte Gefühle stauen sich aller Ortens, etwa zwischen Lous Eltern, die so unterschiedlich mit ihrer Trauer umgehen und weder zueinander noch zu ihrer Tochter einen Weg finden. Und auch Sonny und Lou finden über ihre veränderte Beziehung, ihre Berührungen und Küsse, keine Worte. Die Wahl der Erzählperspektive erhöht die Spannung noch weiter, schließlich erfahren die Leserinnen und Leser von Sonnys Gedanken, Gefühlen und Plänen nur das, was Lou in deren Blicken zu lesen meint. Ein kritischer Wendepunkt in der Beziehung der Mädchen – und der Geschichte – ist Lous Geburtstag, an dem Sonny gemeinsam mit Tayo und Nick, ihren Partnern in crime, nicht nur Benders geliebte Katze entführt, sondern einen der Jungen auch noch vor Lous Augen im alten Schwimmbad küsst – am geheimen Ort der beiden Mädchen also. Von da an driften die beiden immer weiter voneinander weg. Lou möchte mit Sonnys Rachefeldzug nichts mehr zu tun haben – und ist ungewollt beim großen Showdown doch dabei. Juliane Pickel, die für ihr Debüt „Krummer Hund“ mehrfach ausgezeichnet und für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert wurde, zeigt hier Figuren mit großen Emotionen, die nicht zur Sprache finden. Die aufgestaute Wut ist immer spürbar und bricht sich am Ende mit Gewalt Bahn. Mit dem Nicht-Schwimmen-Können und sich Freischwimmen müssen oder dem heulenden Elend von Lous Vater, der die sichtbare Trauer für alle übernimmt, findet sie starke Motive und Bilder. Die Geschichte endet mit einer großen Leerstelle, dem nicht auserzählten Schicksal von Sonny. Aber auch mit einem Schimmer Hoffnung für Lous Eltern und der heilenden Einsicht: „Ich bin nicht mehr die Hälfte von etwas. Ich bin jetzt ein Ganzes. Ich bin jetzt nur noch Lou. Einfach Lou. Nicht mehr und nicht weniger.“

Weitere Lektorixe sind hier nachzulesen.

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