Tine Schulz: Elvis Gursinski und der Grabstein ohne Namen - © Illustration: Beltz & Gelberg / Tine Schulz

Trubel am Friedhof: "Elvis Gursinski und der Grabstein ohne Namen"

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Kirsten Reinhardt mischt wieder mutig und souverän Themen, Motive und Genrekonventionen. Unser Lektorix des Monats.

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Kirsten Reinhardt mischt wieder mutig und souverän Themen, Motive und Genrekonventionen. Unser Lektorix des Monats.

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Wie oft im Kinderroman beginnt es mit einer Liste der Akteure, hier sind es sieben lebende und neun tote. Die meisten von ihnen wohnen am Ort des Geschehens, einem stillgelegten Friedhof im Berliner Stadtteil Wedding. Im ehemaligen Friedhofsgärtnerhäuschen lebt Elvis Gelatine Erkin Gursinski mit seinen Eltern. Mit diesem Namen hat er es nicht leicht bei den Altersgenossen, da wissen die von seiner besonderen Gabe noch gar nichts. Elvis plaudert nämlich regelmäßig mit einigen der hier Begrabenen: dem verhinderten Konditor Albert Odelfing zu Mottenstarr, dem gescheiterten Clown und Kunstfurzer Ladislaus Skappo oder der patenten Elfriede Schumschill, die nach Königsberger Klopsen riecht und immer Zeit für ein Schwätzchen mit dem „Jungchen“ hat.

Bei seinen Problemen kann sie ihm aber nicht helfen: Der Vater liegt nur mehr müde auf dem Teppich rum, die Mutter verschwindet zuerst in ihrem Atelier, dann ganz. Und im oberen Stock des Hauses geht nicht alles mit rechten Dingen zu …

Gut, dass die sehr lebendige Dalia die Friedhofsbühne betritt: Sie ist die Enkeltochter von Madame al Nour, ihres Zeichens traditionelle Hexe und moderne Stadtschamanin, die Menschen mit den üblichen Wehwehchen – „Lustlosigkeit, Liebeskummer, Leistungspanik“ – behandelt. Dalia ist bekannt an Elvis’ Schule, „ihre Nackenklatscher sind berüchtigt, sie ernährt sich ausschließlich von abgezockten Pausenbroten“, von ihrem Blick auf sein Genick hat Elvis schon einen Ausschlag gekriegt. Sie greift unwiderstehlich in das verzwickte Geschehen ein, das nach vielen Turbulenzen seinen Höhepunkt in einer Gruft findet.

Kirsten Reinhardt hat schon mehrmals großes Talent für eigenwillige Figuren und außerordentliche Handlungsverläufe bewiesen. Auch hier mischt sie mutig und souverän Themen, Motive und Genrekonventionen: Außenseitertum, Familienprobleme, ein Toter, der keine Ruhe findet, einige andere, die keine geben wollen; dazu tote Käfer und ein ängstliches Eichhörnchen, die tröstliche Wirkung von Mücver, Anadolu Rock und Torte, das Berlinerisch einer patenten Heldin der Vergangenheit und der Jargon einer krassen Heldin der Gegenwart. All das kommt in diesem Freundschafts-, Familien-, Grusel- und Schauerroman reibungs-, aber nicht spannungslos zusammen. Dass dabei das Geschehen in den abseitigen Nischen der Wahrsagerei oder am Geisterstammtisch nicht für billige Witze genutzt wird, ist schön. Den Problemen der Lebenden wie der Toten wird mit Achtung, aber voller Humor begegnet. Ohne den ist das Leben wie das Lesen auf Dauer ja auch nicht zu ertragen.

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