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Milhaud und Menotti in Linz

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Den Anfangsbuchstaben ausgenommen, haben Milhaud und Menotti wahrlich nur wenig gemeinsam. Indessen: die Opernabende, an denen Neues geboten wird, sind hierzulande viel zu selten, als daß man dein Linzer Landestheater wegen seines Unterfangens, Milhauds düster-expressive Ballade vom „Armen Matrosen“ mit der leichtfertig dahin-konversierenden Buffo-Oper von Menotti („Amelia giht zum Ball“) zu einem geschlossenen Theaterabend zu vereinen, Vorwürfe machen dürfte.

Man darf dies um so weniger tun, als aus dem Ernst, der Sorgfalt und der Intensität, mit der die künstlerischen Vorstände, Chor, Orchester und Ensemble dieser „Provinzbühne“ an ihre recht “harte Aufgabe herangegangen sind, dem Premierenabend doch so etwas wie eine Einheit erwuchs, ein für die Wiedergabe beider Opern gültiges Signum, das den Besucher ermahnte, sich mit dem Dargebotenen nicht weniger ernsthaft auseinanderzusetzen als die Interpreten oben auf der Bühne und unten im Orchesterraum.

Diese Auseinandersetzung begann bei dein MilhaudOpus schon beim Libretto, bei der drückend realistischen und zugleich geheimnisvollen Geschichte von dem armen Matrosen, der um seiner selbst willen, richtiger: um seines Lebensglückes willen ermordet wird — von der eigenen Frau, die den nach 15 Jahren Heimgekehrten nicht erkennt. Eine abstruse Angelegenheit, deren „Pointe“ einem die kalten Schauer reihenweise über den Rücken jagt, ein typischer Cocteau in der intellektuellen Konstruktion und im morbiden Flair, aber auch in der Generosität der moralischen Unverbindlichkeit.

Darius Milhaud hat diesen unheimlichen Text in eine schwere, “nachtdunkle Musik getaucht, deren elegant rhythmische Faktur zur brutalen Harmonik mancher Klänge in einem merkwürdigen, aber keineswegs störenden Gegensatz steht. Den Sängern ist mehr Verharren in suggestiver Deklamation als Bewegung in frei ausschwingender Kantilene gegönnt, das' Statische in Milhauds Sprache, die ihre Spannung auch aus den Bereichen der Polytonalität holt, erhöht den Eindruck des Schreckhaften, Beklemmenden, Lähmenden, der schon vom Stoff her gegeben ist. Was Cocteau in Worten und Bildern zu sagen versagt blieb — Milhaud hat es ausgesprochen, und er hat nichts zu sagen vergessen.

Auch Gian Carlo Menotti spricht sich in seinem musikalischen Scherz voll und ganz aus, und er tut dies mit der Leichtigkeit und Unbekümmertheit eines Südländers, der gerne von vergangenen Tagen erzählt. Die Vergangenheit, die Erinnerung, die dabei aufgefrischt werden, tragen alle schöne Namen, wie Donizetti, Rossini, Puccini und Mascagni. Aber Menotti ist kein bloßer Nacherzähler, er verarbeitet seine Reminiszenzen, fügt da und dort ein bißchen Eigenes hinzu und gießt das Ganze in jene ihm wohlvertraute Form, die das Theater von heute, wenn schon nicht als Stätte des Geistes, so doch als Arena des Erfolgs legitimiert. Denn geschickt, ia von derselben virtuosen Gewandtheit, die Menotti als Komponisten auszeichnet, ist auch der Librettist gleichen Namens, und die heitere Szene mit den vielen Hindernissen, die Amelia auf dem Weg zum Ball begegnen, kann den Akteuren auf der Bühne und dem Publikum unten im Zuschauerraum schon Spaß machen. Spaß machen — das ist es! Und für mehr soll man's auch nicht nehmen.

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