Sokratischer Dialog im 21. Jahrhundert

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Ein großer Sympathieträger ist er nicht. Frank Theves ist Talkshow-Moderator, bekannt dafür, seine Gäste in die Enge zu treiben und dann blitzschnell auflaufen zu lassen. Viele Freunde macht er sich so nicht, allein, beim Publikum kommt es an. Mit seinem provokativen Interviewstil kommt er unbeschadet durch, bis er in einer Sendung die These aufstellt, das an jungen Männern ausgerichtete Schönheitsideal schwuler Modeschöpfer sei für die sogenannten Magermodels verantwortlich. Daraufhin bekommt er von den Pink Panthers, einer Schwuleninitiative, den Giftigen Kaktus für die schwulenfeindlichste Äußerung des Jahres verliehen. Angetrieben von seinem äußerst unsympathisch gezeichneten Produktionsleiter Castorp, gießt er in den folgenden Sendungen weiter Öl ins Feuer, spricht sich gegen das Adoptionsrecht für Homosexuelle aus und versteigt sich hier immer weiter, obwohl er damit auch die Menschen in seinem engsten Umfeld vor den Kopf stößt. Bei der Verpartnerung seiner besten Freundin Kathrin, bei der er als Trauzeuge fungierte, war er noch empört über den Standesbeamten, der aus seiner eigenen Homophobie heraus die Zeremonie so unwürdig wie irgend möglich gestaltete. Jetzt kündigt diese ihm die Freundschaft. Sie sei doch gar nicht wirklich eine Lesbe, bisexuell allenfalls, wirft er ihr an den Kopf und ist sich keiner Schuld bewusst. Auch als unter seinem Namen eine Internetseite auftaucht, die ihm selbst homosexuelle Neigungen unterstellt und ihn dann sogar als Pädophilen denunziert, kommt Theves nicht von seinem Kurs ab.

Divergierende Lesarten

Neben diesem Erzählstrang wird ein zweiter entwickelt, der in Theves' Vergangenheit führt. Neben seiner Talkshow hat Theves einen Roman über eine von Priestern geführte Schule geschrieben, der von seinen eigenen Erlebnissen als Kind und Jugendlicher geprägt ist. Mit Schrecken merkt er, dass er den einzigen Priester, den er mit echtem Namen nennt und den er im Roman als Gewalttäter beschreibt, Pater Spelthahn, verwechselt hat und dass ausgerechnet jener Spelthahn später von einem Liebhaber ermordet wurde. Theves forscht nach und begibt sich dabei zurück in seine Vergangenheit, die er nur scheinbar hinter sich gelassen hat, wodurch Verdrängtes wieder aufzubrechen droht.

Bezeichnend ist die Rezeption des Romans. So wollte Heinz Sichrovsky in seiner Sendung "erLesen" den Roman als Kommentar auf die MeToo-Bewegung lesen, und die Hauptfigur als einen, der für eine in Wahrheit gar nicht schwulenfeindliche Äußerung öffentlich angeprangert wird. Dem widersprach Krug, die MeToo-Bewegung habe er nicht im Kopf gehabt, und fertiggemacht würde der Protagonist auch nicht. Dass es solche Lesarten geben kann, liegt an der komplexen Struktur des Romans, der sich erzählerisch keiner Werthaltung anschließt, was den Leser dazu verführt, seine eigene Haltung zum Thema als favorisiert zu deuten. Das ist jedoch ein Trugschluss, verweigert sich der Text doch ganz bewusst einer Auflösung ideologisch-moralischer Fragestellungen. Das ist bei solch polarisierenden Themen schwer durchzuhalten, doch Krug meistert das bravourös. Es gelingt ihm, weil es ihm nicht um die eigentlichen moralischen Fragen geht, darum, ob es nun homophob ist, ausgerechnet homosexuelle Männer für krankhafte weibliche Körperbilder verantwortlich zu machen, auch nicht darum, ob Homosexuelle adoptieren dürfen sollen. Homosexualität und Homophobie, die Macht der Sprache, Übergriffe gegen Kinder, Mobbing, Pädophilie und die vielgescholtene Political Correctness sind die Themen, die der Autor erstaunlicherweise alle unter einen Hut bekommt, ohne dass es artifiziell wirkt. Krug geht es um die Effekte eines öffentlichen Diskurses, der sich zunehmend verschiebt. Was früher eine kränkende Bemerkung vor ein paar Zuhörern war, ist heute als Post im Internet nicht mehr kontrollierbar. Einmal da, immer da.

Komplexe Hauptfigur

"Die Verwechslung" ist als sokratischer Dialog angelegt, bestehend aus Rede und Gegenrede, der Umkreisung eines Gegenstands. Dazu als Hauptfigur einen leicht narzisstischen, rücksichtslosen, aber auch unsicheren Talkshow-Moderator zu installieren, der dennoch gute Seiten hat und durchwegs als komplexer Charakter gezeichnet wird, ist ein gelungener Kunstgriff. So lädt Theves die berühmte Gender-Theoretikerin Rebecca Sanddorn ein, die unschwer als Judith Butler zu dechiffrieren ist, und diskutiert mit ihr über Thesen, die auch das biologische Geschlecht als konstruiert ausweisen. Auf einen grünen Zweig kommen die beiden nicht, und das müssen sie auch nicht, doch Krug zeigt, wie der gegenseitige Respekt verloren geht, was im Auftritt eines Boulevard-Journalisten gipfelt, der nicht nur vage an Krone-Kolumnisten Jeannée angelehnt ist. Krugs unaufgeregter Stil kann als Gegenkonzept gelesen werden.

"Die Verwechslung" hat kleinere dramaturgische Schwächen, vor allem gegen Schluss, das kann man aber leicht verzeihen, denn insgesamt ist Krug ein hervorragend erzählter Roman gelungen, spannend wie ein Krimi und ausgesprochen relevant.

Die Verwechslung Roman von Dietmar Krug. Otto Müller 2018 320 Seiten, geb., e 23,00

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