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Soll Abel dem Kain verzeihen?

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Die Auseinandersetzung mit dem Verhalten der Menschen im letzten Weltkrieg findet nicht nur bei uns statt. Der Dialog „Abel, wo ist dein Bruder?“ von dem 39jährigen Sowjetrussien Juliu Edlis, im Volkstheater szenisch dargeboten, greift diese Problematik auf, wobei der Titel die Frage Gottes aus der Bibel umkehrt. Es geht darum, wie sich Abel verhalten würde, wäre er bei Kains Anschlag am Leben geblieben.

Zwei russische Soldaten, die bei den Deutschen gefangen waren, treffen sich nach mehr als 20 Jahren durch Zufall in einem sowjetischen Badeort In ihrem Erinnern identifizieren sie sich erst nach längerem Gespräch. Die Namen bleiben ungenannt, Kain und Abel als Gegenwartsgestalten sind damit gemeint. Dieser Kain verriet, von Wlassow- Leuten gefoltert, einen Oberstabsarzt, meldet sich, gezwungen, zur Wlas- sow-Armee, und als Abel mit anderen zur Liquidierung bestimmt war, rettet ihn Kain nicht, weil Abel nicht allein gerettet werden wollte. Nur durch Zufall entkam Abel dem Massentod.

Die Schuld dieses Kain relativiert der Autor dermaßen, daß von Mord nicht mehr gesprochen werden kann, dennoch stellt sich Abel die Frage, ob er ihm verzeihen dürfe, ob dies nicht zu einem Freibrief für Mord werde. Der Faschismus könnte dadurch wieder auferstehen und alles von vorne beginnen. Die schwankende Problemstellung führt zu einem schwankenden Schluß. Abel zwingt den Kain in einem Brief an seinen Sohn ein Geständnis darüber abzulegen, was sich einst begab, doch verzichtet er dann darauf, daß der Brief abgesandt wird. Der Stachel des Gewissens bleibe in Kain, meint wohl der Autor; es sed bezweifelt. Nach dem Disput stirbt Abel sinnlos durch Herzschlag.

Abel ist da als der Untadelige dargestellt. und damit ergibt sich unaufdringlich die Forderung, die Sowjetunion auch unter Folterqualen nicht zu verraten. Dieses indirekte Postulat heldischer Haltung konfrontiert das Volkstheater durch Aufführung von Lessings einaktigem Trauerspiel „Phiiotas", mit dem Verhalten eines jungen Menschen von hitziger Kriegsbegeisterung. Der Königssohn Phiiotas geriet ln Gefangenschaft des Königs Aridäus, er tötet sich, um nicht gegen den in Gefangenschaft von Phiiotas Vater befindlichen Sohn des Aridäus ausgetauscht zu werden, wodurch er den Kriegsausgang zum Vorteil seines Landes wendet. Hier wird ein strahlender Heroismus verherrlicht, der uns völlig fremd geworden ist.

Gustav Manker wendet als Regisseur alles auf, um das hörspielmäßig angelegte erste Stück einigermaßen szenisch wirksam zu machen. Psychologisch ist das Spiel von Heinrich Trimbur als der Standhafte und Herbert Propst als Schuldhafter vortrefflich abgetönt. Regine Felde n gibt einer Kellnerin gute Figur. Im zweiten Stück überhitzt 1liaus Höring den hitzigen Phiiotas allzusehr. Als Aridäus und dessen Feldherr besitzen Hanns Krassnitzer und Bernhard Hall männliche Haltung. Rudolf Strobl bietet als Soldat Par- menio eine überaus lebendige Gestalt. Die Bühnenbilder von Brigitte Brunmayr kennzeichnen treffend die unterschiedliche Wesensart der

Stücke.

Ein erfolgreiches Unterhaltungsstück aus dem Jahr 1935, „Kleines Bezirksgericht" von Otto Bielen, haben Ernst Waldbrunn und Hugo Wiener als routinierte Witzspezialisten für die Kammerspiele auf Ebene 1968 gebracht. Zwei Vorstadtdamen, die Delikatessenhandlerische und die Kaffeesiederische, die sich ständig in den Haaren liegen, vor Gericht zitieren, versöhnen und wieder beleidigen, dazu der Gerichtssaalkiebitz Swoboda, der seine Ehre darein setzt, dem Herrn Rat bei den Verhandlungen unbezahlte Dienste zu leisten, ansonsten aber auch den Gerichtsparteien bei der Kaffeedame Ratschläge gibt, Vergnügliches dieser Art für zwei Akte wird auf drei Akte gestreckt. Die Wiedergabe unter der Regie von Edwin Zbcmek mit Lotte Lang und Gretl Elb als die beiden weiblich Streitbaren, mit Ernst Waldbrunn als nahezu unentbehrlichem Herrn Swoboda und Peter Hey als einsichtigem Bezirksrichter hält die Zuschauer den ganzen Abend über in Laune. Unterschied zu heute: Anno 35 entstanden noch Stücke, die in Wien spielten.

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