Stille... Lücke... Rast

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Der große Lyriker und Übersetzer Michael Hamburger stellt in Wien den 8. Band seiner zweisprachigen Werkausgabe vor.

Michael Hamburger, 1924 in Berlin geboren, musste 1933 mit seinen Eltern nach London emigrieren. Die Sprache seiner Dichtung wurde das Englische, aber schon der Fünfzehnjährige widmete sein Gedicht Hölderlin, und sein Leben lang hat er deutsche Lyrik ins Englische übertragen und bekannt gemacht. Im Jahr seines 80. Geburtstages liegt sein Werk nun auch auf Deutsch in der Übersetzung von Peter Waterhouse vor.

In dem soeben erschienenen achten Band, einem poetischen Jahresbuch, heißt es programmatisch: "Und ich, ein Pfleger nur / Von unverkäuflichem Obst, / Muß bangen um meine Nicht-Ereignisse: / Sie könnten augenblicklich Nachricht werden, / Wie das Schlachten, nur mehr planlos, publik / Der Rinder, Schweine, Schafe, / Wie der mutierte Mais und Raps, / Das Nicht-Klima, die Nicht-Jahreszeiten auch / Da Orkanwind, Erdstoß, Ausbruch, Flut und Dürre / So wirksam sind wie Kriegsführung, / Wie die organisierte Vernichtung von Tierarten, Tierwelten." Nein, Naturgedichte sind das nicht, dagegen hat sich Hamburger immer verwehrt, aber sie buchstabieren die Pflanzennamen Schneeglöckchen, Eisenhut, Nieswurz, Wildes Geißblatt, Ackermenning oder Eisenkraut und Vogelarten (Rauch- und Mehlschwalben, Mauersegler...), um in der Landschaft die Ereignisse menschlicher Zerstörung sichtbar zu machen und "Stille... Lücke... Rast" zu verteidigen. Mit diesen Worten beginnt das letzte Gedicht, in dem "ein Überlebender aus Schutt" vom "vollendeten Sterben / Das Liebe und Mühen verzögert" spricht.

Man kann es Übersetzer und Verlag nicht hoch genug anrechnen, dass uns einer der großen Dichter des Jahrhunderts in dieser Ausgabe zugänglich wird. Umso ärgerlicher ist, dass die Edition verpatzt ist. Einen zweisprachigen Gedichtband nimmt man in die Hand, um am Original hängen zu bleiben, seine schwierigen Stellen durch die Übersetzung zu entschlüsseln und dabei festzustellen, dass sie immer nur eine von mehreren Möglichkeiten darstellt und - gerade bei einem Lyriker vom Rang eines Peter Waterhouse - der Unterschied zwischen Original und "bloßer" Übersetzung selbst ins Schwimmen kommt. Hier aber hat man das Naheliegende, Original und Übersetzung einender gegenüberzustellen, nur gelegentlich gemacht. Im Band "Traumgedichte" hat man das Original zu einem schwer leserlichen Fußnotentext erniedrigt, der neue Band ist zweigeteilt: zuerst das Original, dann die Übersetzung - mühsames Hin- und Herblättern garantiert, dass man den Vergleich irgendwann aufgibt. Dabei sollte man Waterhouse durchaus auf die Finger schauen (Lyriker sind nicht automatisch die besten Übersetzer von Lyrik): Zwar ist er hier nicht auf den abstrusen Einfall gekommen, das simple englische Wort always durchgehend mit Allewege zu übersetzen (wie in den "Traumgedichten"), aber ob man "Towards Easter the morning mist / Is pregnant with a prayer" mit "Zu Ostern ist im Morgennebel / Ein Gebet erblüht" übersetzen kann, bleibt fraglich. Das große Nicht-Ereignis lässt sich freilich nicht beschädigen: Hamburgers Gedichte, die "Aus lebenslangem Stillsein" kommen.

AUS EINEM TAGEBUCH DER NICHT-

EREIGNISSE. Von Michael Hamburger.

Aus dem Englischen von Peter Waterhouse. Dt./Engl., Folio Verlag, Wien-Bozen 2004142 Seiten, brosch, e 18,50

Präsentation mit Michael Hamburger und Peter Waterhouse in der Alten Schmiede, Schönlaterngasse 9,

1010 Wien Mo 24. Mai, 19 Uhr

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