Perhaps, Pepsi, Papa

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Martin A. Hainz schwärmt von "Krieg und Welt", dem neuen Buch von Peter Waterhouse.

Was für ein Autor, was für ein Buch! Bei Peter Waterhouse sind Genauigkeit der Beobachtung und des Wortgebrauchs in einer Weise gesteigert, dass man ihn dafür nur bewundern kann. Erzählt wird in "(Krieg und Welt)" retrospektiv das Aufwachsen mit einem (und ohne einen) Vater, der unter anderem als Geheimdienstoffizier tätig ist, doch nicht nur in höchstem Maße individuell - sozusagen mikrologisch -, sondern zugleich exemplarisch: Hier wird von einem Kind Welt zu Wort zu Worten zu Sprache; und werden Worte Wörter, da der Junge zweisprachig aufwächst, das Fremde im Eigenen und das Eigene im Fremden als wundersam kennen lernt. So heißt es "perhaps oder Pepsi oder Papa".

Vom Sein zum Buchstaben

Dem Weg, den die Sprache dabei nimmt, zu folgen: Das unternimmt der Autor, der Leser aber hat das Glück, die aufgelesenen Spuren wieder zu lesen. Die Akkuratesse, mit der Sein zum Buchstaben wird, mit diskreten Differenzen:

"Die Uferfelder liegen so tief wie der Wasserrand. Und so schreibe ich es auf. Die Uferfelder liegen tief wie das - Wasser. Die Flußbiegung leuchtet. Ich schreibe es auf, ohne viel davon zu wissen: Die Flußbiegung - leuchtet. Ich schreibe wenig auf, doch es ist ein großer Verwandlungsvorgang. Hier diese Notiz: Der Fluß - nein - die Leuchterin. Ich weiß nicht, wie ich weniger sagen kann und mehr. Manchmal ist der Weg vor mir wie nichts und zugleich nur Schönheit. Das schreibe ich auf: Da ist auf dem Weg nichts - nur die Schönheit."

So wird das Erleben authentisch, und zwar so authentisch, wie es intensiv vom Sprachlichen immer gebrochen ist. So, als der Großvater von einem Auto überfahren wird und stirbt: "Herr Großvater starb zu Staub nach einem wunderbar harten Schlag, nach einer enormen Automobilohrfeige, rieb sich die wehe Wange, weinte wie ein Kind." Des Geschicks Replik: "Ich schlage dich zu Tode, Büblein." Die vorgebliche Eigentlichkeit der Kindersprache schildert da mehr sich, als dass sie das Sein fasste - doch was wäre dieses Sein?

Klänge und Schriftzeichen

Nicht nur das Gedicht, auch der Roman (oder Bericht, die Gattung bleibt eigenwillig unbestimmt) ist bei Waterhouse ein "Ort, wo alle Metaphern und Tropen ad absurdum geführt werden wollen", wie Paul Celan, dem Waterhouse u.a. die wunderbare Studie Im Genesis-Gelände widmete, in seiner Poetik festhielt; doch wie Celan weiß auch Waterhouse: Am Ende dieses Dekonstruierens ist die Sprache nur produktiv-paranoider, nicht indes eigentlicher. Lesen ist Weltgewinn und -verlust in einem, mit Gerard Manley Hopkins in der Übersetzung von Waterhouse: "Ich las heute [...] verbrannte Teile." Dies, wiewohl die Sprache ja keine Lügnerin ist. In einer amüsanten Passage wird über das Übereinstimmen von Buchstabe und Wahrheit sogar in Gameshows räsoniert, "A: Plymouth, B: Brüssel, C: Paris, D: Frankfurt", wobei natürlich "die richtige Buchstabenkombination", "B: Brüssel" also stimmen müsse. Richtig wird räsoniert, wo resoniert wird, sozusagen ...

Mit leisem Humor und Sprachgefühl wird so die Geschichte besagten Kindes erzählt: Zwischen Klängen und Schriftzeichen bewahrt und eingeklemmt, aber auch von ihnen aus dem Sein gehoben, weil man bei "Such" lesend zunächst nicht weiß, ob dies nun ein englischer oder ein deutscher Satz werde, zumal es gerade "Can you see me?" hieß, zwischen Klängen und Zeichen also wächst es auf. "X-Treme. Wie war es zu sprechen?" So widerspricht sich alles, "pieces of intelligence ... they all contradict one another", was bei Rumsfeld, von dem das Zitat stammt, negativ ist, das wird hier indes zum Reichtum. Zur Heimat in einer Welt, worin sich der Vater, der sich immer auszukennen scheint, entzogen ist, das Kind jedoch an der Wirrnis reift: "Wenn ich ass sag, sprech ich (es klingt fast wie Freuds Es)."

Der Vater ist Kompetenz, wobei diese Figur doch nie sich ins Allegorische verlöre, und diese Kompetenz verfügt auch über das, was sich dem Wissen nicht erschließt, was als Verantwortung Wahnsinn und Kompetenz bis zum Ausruf, man "habe zuviel Macht", zu verbinden scheint. Als Geheimdienstoffizier ist der Vater einmal da, einmal absent, halb-präsent, Phantom und Gespenst: Insofern ist der Text dem "themenlose(n) Buch", das Vokabeln aneinander reiht, nicht unähnlich, worin "das verdeckte Thema" doch "lesbar" werden könnte.

Es spricht

Fast wie Freuds Es. Es spricht, und zwar die Sprache selbst, ein Unbewusstes, das nicht die zugleich vertrautesten und monströsesten Seiten des Menschen eint, sondern sprachlich noch das trägt, was völlig unsprachlich dann doch immer nur scheinbar ist; oder unsprachlich war, ehe es ins Datum übersetzt ward. Waterhouse schrieb in Die Geheimnislosigkeit: "Übersetzen: [...] eine fremde Sprache in der deutschen finden, das ungesprochene Deutsch vielleicht, das unbekannte, das vergessene. Das Deutsche wieder unbekannter machen."

Und damit lässt sich das Unbekannte treffen. Das ist das Vergessene, doch Geliebte, von dem sich das Ich herentwickelt, herschreibt, "sich dir zu", wie Celan von eben jener Liebe sagt, die auch Waterhouse derart ins Auge fasst: "Liebe war Liebe. Liebe war nicht Liebe, sondern Liebe." Diese Mathematik des neutralen Elements, das zwar substanzlos und also fast nichts ist, aber alles in Bewegung setzt und die Formel (Liebe \0x2260 Liebe) = Liebe erzwingt, sie durchdringt diese Kindheit und Jugend, ihre ganze wenn nicht Sprachlichkeit, so Melodie - "ungrammatisch, aber melodiös".

Kein Auskennen

Das ist das Gegenmodell einer mathematischen Welt, worin alles geordnet ist; hier ist kein Auskennen, weil zusehends die kompetente Beschreibung doch performativ ist, also ihren Gegenstand verändert, und die Welt insgesamt.

Sprache ist - auch - "Lehrelosigkeit", die jedoch "transsubstanziiert[e]", ist das Gegenteil von Gewalt, wo sie so in sich lauscht, ist das Gegenteil des Todes, kann darum "nicht [...] eines natürlichen Todes sterben", "nur eines gewaltsamen". Seit die Sprache ins Sein getreten ist, ist hinter die mit ihr berührte Erlösbarkeit nicht zurückzugehen - es sei denn um den "Preis [...], dass die Sprache selbst [...] zerstört" würde, wie Alain Badiou schrieb. In der Sprache geschieht Achtung, werden nämlich "das Sehen und die Resistenz eins".

Erlösbarkeit: Waterhouse hat mit seinem Buch Sprache in einer Weise zur Utopie von Sein und Politik erhoben, wie es derart illusionslos-präzise und beglückend nicht alle Tage geschieht. Was für ein Buch, was für ein Autor!

(Krieg und Welt)

Von Peter Waterhouse

Jung und Jung, Salzburg 2006

669 Seiten, geb., e 44,-

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