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Unvergessen, un verloren

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„Nichts mehr wird kommen ...“ lautet der todesdunkle Vers eines der letzten Gedichte Ingeborg Bachmanns, das den Titel „Enigma“ trägt. Alles scheint zum Rätsel geworden und die Stimme an allem zu ersticken. 25u ihrem Roman „Malina“ schreibt Werner Weber in seiner verständnisvollen Rezension in der „Neuen Zürcher Zeitung“, daß auch in ihm der Todesgedanke vorherrscht: sein Text ist auf Nekyia gestimmt, auf Fahrt in die Unterwelt. „Sie war in der Region des Flusses, wo er ins Totenreich führt“, heißt es im Roman von der Prinzessin von Kagran. „Ich habe plötzlich einen Schilling im Mund, leicht, kalt, einen störenden Schilling zum Ausspucken“, sagt wieder das Roman-Ich. Wer dächte dabei nicht an den Obolus, den man den Toten in den Mund legt, als Lohn für Charon, den Fährmann über den Styx zur Unterwelt. Und schließlich stellt das gleiche Ich fest: „Ich sitze allein zu Hause und ziehe ein Blatt in die Maschine, tippe gedankenlos: Der Tod wird kommen.“

Der Roman war ja, nach dem Ausspruch der Autorin, konzipiert als Ouvertüre zu einer Arbeit über die verschiedenen „Todesarten“. Und was denkt man sich heute, wenn man auf den letzten Seiten, kurz bevor das Roman-Ich in einer undurchdringlichen Wand des Todes verschwindet, liest: „Ich muß aufpassen, daß ich mit dem Gesicht nicht auf die Herdplatte falle, mich selber verstümmle, verbrenne... Ich richte mich auf, glühend im Gesicht von der rotglühenden Platte, auf der ich nachts so oft Fetzen von Papier angezündet habe... um Feuer zu bekommen für eine

letzte und allerletzte Zigarette.“ Der Roman beschreibt die Krise eines Ich, das an seinen Fragen nach dem Sinn allen Lebens und Liebens erstickt. Das Leben eine Kränkung und Falle, trotz seines opernhaften Aufputzes, die Welt eine Programmusik der Aktualitäten. Der Roman führt in die Einsamkeit dessen, der liebt. Auch von den Kirchen im Stich gelassen, die sich auf die gleiche Programmusik beschränken, um ihren Glauben attraktiv zu gestalten, statt die Fragen der Liebenden zu beantworten, wie kann man überhaupt noch glauben, lieben und existieren?

In ihren Gedichten, von der „Anrufung des Großen Bären“ bis zu den „Liedern auf der Flucht“, führt die Dichterin darüber Klage, sieht Sich auf sich selbst zurückgeworfen mit dem Anspruch ihres Herzens: „Spring noch einmal auf und reiß die alte schimpfliche Ordnung ein. Dann sei anders, damit die Welt sich verändert, damit sie die Richtung ändert, endlich!“ („Das 30. Jahr“). In den Frankfurter Vorlesungen bezeichnet sie diesen Anspruch als Atem ihrer Dichtung. Die legendären Einschübe im Roman, die mit den Worten „Ein Tag wird kommen“ beginnen, sprechen ebenfalls davon. „Siegen wollte ich in einem Zeichen... Wer spricht denn hier noch von siegen, wenn das Zeichen verlorengegangen ist, in dem man siegen könnte?“

Sind diese Worte nicht deutlich genug? Wenn Ingeborg Bachmann dann vom Nichts spricht als der Stelle, „auf der die Welt von jemand geheilt ist“, ist das wohl kaum die Sprache eines Nihilismus, eher die einer Theologia negativa wie bei Paul Celan, ein

Ort der Ratlosigkeit, aber doch mit einem Hoffnungsschimmer, mitten in den weltlichen und geistlichen Aktuailitätshasche-reien, die nur zu den Todesarten gehören, vielleicht doch noch ein Wort zu finden, „das in mein Leben gegraben ist wie ein Abgrund“. Daran schließen sich die legendären Worte aus „Malina“:

„Denn sie sollen nicht ewig, denn es sollen die Menschen nicht ewig, sie werden nicht ewig warten müssen ...“ Auch das eingangs zitierte, anscheinend hoffnungslose Gedicht „Enigma“ besitzt einen Vers, ein Zitat aus der 3. Symphonie Gustav Mahlers: „Du sollst ja nicht weinen, sagt eine Musik.“ Er klammert sich

noch mitten im Verstummen an einen Schimmer. „Nur in wenigen Momenten war ich glücklich, aber ich habe doch zuletzt die Schönheit gesehen.“ Die Schönheit, nicht in Worte zu fassen, sprachlos im Lied, wie sie es früher einmal in den „Liedern auf der Flucht“ gesungen hat: Nur Sinken um uns von

Gestirnen. Abglanz und Schweigen. Doch das Lied überm Staub

danach wird uns übersteigen.

Trotz aller Verhaltenheit, die manchmal den Eindruck von Schüchternheit erweckte, konnte Ingeborg Bachmann in letzter Zeit, auch nach dem Malina-Roman, richtig herzlich und gelöst erscheinen. Bei unserem letzten Beisammensein in Wien erzählte sie vom Zustandekommen, vom auslösenden Moment ihres Romans „Malina“. Ein Traum war es, den sie bei einem Aufenthalt in Triest hatte. Aul diesen Traum hin fuhr sie nach Rom und begann zu schreiben. Er war ihr, wie sie wörtlich und ernst versicherte, „von der höchsten Instanz“ geschickt worden, ein Traum von drei Steinen, die ihr „vom Himmel“ herabfielen. Wenn man weiß, was das Symbol des Steines bedeutet, wie es C. G. Junk darlegt, denkt man sich seinen Teil. Er steht im Roman auf Seite 241: Ein leuchtend roter Stein, der bedeutet: staunend leben; ein glänzender blauer Stein: schreiben und Staunen. Ein strahlend weißer Stein: Ich werde seine Botschaft nach meiner Befreiung erfahren. Dazu Zitiert sie Verse aus dem letzten Gedicht, das ihr in Prag geschenkt wurde, „Böhmen liegt am Meer“:

Zugrund gerichtet, wach ich

ruhig auf. Von Grund auf weiß ich jetzt, und ich bin unverloren.

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