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AGNETE

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10. Fortsetzung

Und doch, es ist auch Göttliches genug darin im Scheitern zweier Menschen aneinander!1 Zwei Flammen schlagen aus irdischer Bedrängnis lodernd in eine zusammen und dieses Sichfinden im Einen, es ist mehr als irdischen, es ist g ö 11-liehen Ursprungs!“

Hier stockte Degenhart einen Augenblick. Dann setzte er hart und unvermittelt fort:

„Und wissen Sie, wann und wo ich Agnete nach jenem Abende, der das beste Glück meines Lebens bedeutet, wiedersah? Zwei Wochen später sah ich sie wieder, in ihrem Sarge, in einer Totenkammer zu Wien!“

Mir war, als ich diese verfinsterten Worte hörte, als legte er sie der schweigenden Nacht ans Herz, die sie dunkel und brüderlich bespiegelte

Und auch bei allem Ferneren, was Degenhart noch sprach, schien er jetzt in den knappen gefühlsabweisenden Ton des Mili >tärs geflüchtet zu sein, der ja sonst nicht seine Art war:

„Als ich nämlich am nächsten Tage“, fuhr er fort, „vor dem Hause Agnetens erschien, übergab mir der Torwart einen Brief. Agnete verständigte mich darin, sie habe frühmorgens Innsbruck verlassen, aus der letzten Kraft heraus, die ihr noch geblieben sei. Sie schrieb, das ändere nichts an ihrem Empfinden für mich, sie sei von nun an und für immer mein und sie habe nichts zu bereuen. Sie fordere jedoch als Opfer meiner Liebe, ich möge sie für wenige Tage sich selbst überlassen, sie müsse eines quälenden inneren Zwiespaltes Herr werden, der sie nicht zur Ruhe kommen lasse. Sie sei sich in schlafloser Nacht darüber klar geworden, daß es anders nicht sein könne. Ich möge, schrieb sie, ihr Tun nicht für allzu verworren und unzurechnungsfähig! halten. Sie müsse sich jedoch noch einmal mit ihren Bergen besprechen, in denen sie die letzte Ruhe und Klarheit über sich selbst gewann. Sie werde, schrieb sie, in wenigen Tagen wieder nach Innsbruck kommen, gefestigt und stark, als die Freundin und Liebste, die sie mir dann für immer sein werde.' Zum Schlüsse bat sie mich, ihr täglich an das Karerseehote! zu schreiben, wo sie Aufenthalt zu nehmen gedenke.

Mit diesem Briefe in der Hand ging ich als ein völlig Verstörter heim. Ich erhob keinen Vorwurf gegen Agnete, ich nahm die Seltsamkeit ihres Wesens als etwas Un abänderliches hin, wie das Schicksal selbst, und ich schrieb ihr auch noch am selben Tage in diesem Sinne. Ich sah, bei aller Betroffenheit meines Herzens, daß es hier nun meinerseits ein Opfer zu bringen gelte an Einsicht und Entsagung, und ich wollte die Hoffnung in mir nicht ertöten, daß Agnetens Seele aus dem Kampf mit den Geistern ihrer Einsamkeif doch bald und ganz zu mir heimfinden werde.

Als ich aber Tag für Tag vergeblich auf Antwort wartete, wuchs meine Beunruhigung mählich zur Qual. Agnete hatte mich beschworen gehabt, ihr nicht nachzureisen; gut, ich wollte dies, besonders aus dem Grunde ihres letzten großen Opfers heraus, getreulich befolgen. Aber ich mußte doch wenigstens Gewißheit haben über ihr Befinden und so schrieb ich in meiner Not an den mir persönlich bekannten Direktor des Hotels. Tags darauf erhielt ich in einer Depesche die Mitteilung: Agnete sei schon mehrere Tage vor meiner Anfrage auf einem der Wege, die gegen den Rosengarten führen, in schwerer Ohnmacht verfallen aufgefunden worden. Man habe, da sie nicht mehr zur Besinnung zu bringen gewesen sei, ihren Gatten telegraphisch benachrichtigt und dieser sei, gemeinsam mit ihrem Bruder, mit dem nächsten Eilzag gekommen und habe sie, nachdem die hiesigen Ärzte sich keinen Rat gewußt, in ein Wiener Sanatorium überführt.

Mit diesem Wissen im Herzen, hohnlachender Wertlosigkeit preisgegeben, bradi ich mein Zelt in Innsbruck so sdinell als möglich ab und fuhr, von Augenblick zu Augenblick gepeinigt, gleichfalls nach Wien zurück.

Ich habe Agnetens Bruder in einem Telegramm gebeten, mich, wenn es irgend möglich, am Bahnhof zu erwarten Ich sah, als ich ankam, an seiner düster versteinten Miene, daß ich keine Hoffnung mehr hatte, Agnete noch am Leben zu finden. Sie sei tags vorher im Sanatorium verschieden, erzählte Herbert während der Fahrt in die Stadt, sie habe trotz aller Bemüh j igen der Ärzte das Bewußtsein nicht wieder erlangt. Er selbst habe, als er mit der Kranken allein war, fuhr er zu berichten fort, in der Not seines Herzens plötzlich viele zärtliche eindringlidie Worte zu ihr zu sprechen versucht, in der törichten Hoffnung, es werde ihr todumklammertes Herz ihn vielleicht doch wiedererkennen und zum Leben zurück-erwachen.. Es sei dies jedoch vergeblich gewesen. Er müsse mir aber das eine gestehen: er habe in seiner Ratlosigkeit, einer plötzlichen Eingebung folgend, auch meinen Namen an ihrem Ohr zu nennen versucht und da sei es, ihn zutiefst erschütternd, wie ein schwaches verstehende Lächeln über die Lippen der Bewußtlosen gegangen. Und bald darauf sei sie versdiie-den. Dieses Lächeln, schloß er starr seinen traurigen Bericht, überbringe er mir nunmehr als den letzten Gruß Agnetens.

Er hatte dabei meine Hand gefaßt, in starkem, gütigem Verstehen, und ich bedurfte vieler Beherrsdmng, um vor dem Manne als Mann zu erscheinen.

Meine Frage, ob ich Agnete noch werde sehen können, verneinte Herbert. Sie liege in der Totenkapelle der Minoritenkii-ehe, und zwar bereits im geschlossenen Sarge. Er wolle aber, fuhr er fort, mit mir am Abend hin, zu einer Stunde, die noch zu bestimmen sei; er halte es nämlich für angezeigt, setzte er nach einigem Zögern hinzu, ein Zusammentreffen zwischen mir und seinem Schwager für die nächste Zeit zu vermeiden.

Auf meine bestürzte Frage, was er damit sagen wolle, bekannte mir Herbert unverhohlen, der Sektionsrat habe im Reisekoffer Agnetens, in ihrer Schreibmappe verborgen, meine letzten an sie gerichteten Briefe gefunden.

Es mag recht seltsam scheinen, daß ich diese peinlichste Botschaft im ersten Augenblick wie eine Ablenkung aus meinem Schmerz empfand. Ich bat Herbert, dem Sektionsrat mitzuteilen, daß ich ihm natürlich zu jeder von ihm gewünschten Aussprache zur Verfügung stehe. Es wurde mir aber, zu meiner neuerlichen Bestürzung, die Antwort zuteil, daß der Sektionsrat, allerdings nur um des Andenkens der Toten willen, auf jede fernere Aussprache mit mir verzichte. Ich merkte es Herbert an, daß es ihm nicht leicht fiel, mir diese demütigende Botschaft za übermitteln.

So war nun auch der Panther Schmach in den Abgrund meiner Trauer nachgesprungen, ich verlebte damals wohl die kläglichste Stunde meines Lebens.

Robert Lowell, Karl Shapiro und andere, zum Christentum und zur Kirche sowie über religiöse Bereitschaft und Vertiefung weiterer Kreise der amerikanischen Bevölkerung berichten.

Kurz vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges schrieb der «oft am Menschentum verzweifelnde Dichter Thomas Wolfe: „Wir suchen die große, vergessene Sprache, den verlorenen, schmalen Pfad in den Himmel.“

Der bedeutendste lebende Dichter der englischen Sprache, der in Amerika geborene T. S. Eliot, setzte an den Schluß

seines Gedichtes „Aschermittwoch“ die Worte: „Und laß mein Rufen zu dir dringen!“

Welchen Nachhall werden diese Worte in Amerika finden? Auch Amerika wird sich entscheiden müssen. Sein Dichter weist ihm in seinem im Krieg entstandenen, zuletzt veröffentlichten großen Gedicht „Little Gidding“ den Weg:

„...Die eine Hoffnung, — sonst Verzweiflung, liegt in der Wahl zwischen Brand und Brand — in der Rettung vom Feuer durch Feuer. Wer denn ersann die Qual? Die Liebe. Liebe ist der unbekannte Name ...“

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