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Digital In Arbeit

Träume auf Hochglanz

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Aus Reiseprospekten kann man ein ganzes Album einer Weltreise zusammenstellen. Das erspart Kosten und Risiken.

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Aus Reiseprospekten kann man ein ganzes Album einer Weltreise zusammenstellen. Das erspart Kosten und Risiken.

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Mehr als 45 Kilo Prospekte und sonstiges papierenes Werbematerial landen im J ahresdurchschnitt im Briefkasten eines österreichischen Haushalts. Einige Umweltbewußte haben es gesammelt und nachgewogen. Ob die Menge und ihre Hochrechnung nun stimmen mag oder nicht, viel ist es auf jeden Fall, meistens zu viel. Vernehmen wir dazu die Nachrichten aus der Papier- und Druckindustrie, so wird es dank technischer Neuerungen künftig gelingen, die Maschinen noch schneller laufen zu lassen. Der Kreislauf Papier-Prospekt- Briefkasten-Container-Altpapier- Neupapier wird beschleunigt. Werden wir es bis zur Jahrtausendwende auf 100 Kilo Jahresumschlag brin- gen?

Der verächtliche Ton, mit dem das Wort Wegwerfgesellschaft ausgesprochen wird, hier unmittelbar vor der Haus- oder Wohnungstüre gewinnt er schrille Aktualität.

Doch halt, alle reden von weg

werfen, wir tun es nicht. Schon die oben erwähnten Umweltbewußten heben ja die Prospekte sorgfältig auf, wiegen sie, führen Statistiken, errechnen Flutspitzen, erwägen die Korrelation zur Wirtschaftslage und zum privaten Konsum. Eine immerhin ernsthafte, beinahe wissenschaftliche Tätigkeit. Keine Bede also von sinnlosem Papier.

Die Tätigkeit kann noch wesentlich verfeinert werden. Die Prospekte können in Schwarzweiß- und Farbdruck sortiert, nach Branchen und Dienstleistungen untergliedert werden. Die Briefkasten-Ökologie ist ein weites Entwicklungsfeld. Künftiges Dissertationsthema: Der Anteil der Milchtopfdeckel am Mailing- Angebot in städtischen Agglomerationen mit konfessionsverschiedener Bevölkerung und die Auswirkung

auf das kommunalpolitische Wahlverhalten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Ist so der Briefkasten des einen Forschungsfeld, so ist sein Inhalt des anderen Ausschneidebogen. Aus einem der dicken Spielzeugprospekte läßt sich leicht eine ganze Spielzeuglandschaft ausschneiden - und das ist wesentlich lustiger und kreativer als der Kauf der abgebildeten Spielsachen. Da sage noch einer, Prospekte seien nutzlos!

Aus Reiseprospekten kann man ein ganzes Album einer Weltreise zusammenstellen. Das erspart die Mühen, Kosten und Risiken des Rei- sens. Wer weiß, ob die Wirklichkeit immer so schön ist! Kein Skorpion beißt mich, kein Terrorist verfolgt mich. Sehr beliebt sind auch Textu- und Modeprospekte. Collagen mit vertauschten Körperteilen sind ein Kinder- und Familiengaudium. Und dann erst Geschirr und Küchengerät! Oder Möbel!

Wir besitzen mindestens schon die Ausstattung von zehn Hotels, sechs Stadtvillen, zwei Dutzend Einfamilienhäusern und unzähligen Wohnungen mit allem Komfort. Davor par

ken Luxuslimousinen der teuersten Marken, tolle Sportwagen und exklusive Campingbusse. Gewöhnliche Typen oder Gebrauchtwagen werfen wir weg. Man soll nicht unter sein Niveau gehen.

Ungünstig ist, daß sich in den Briefkästen der Nachbarschaft immer die gleichen Prospekte finden. Wir haben aus diesem Grunde Prospekt-Partnerschaften mit ferneren Städten angebahnt, um im Tauschwege andere Prospekte zu erhalten. Wir träumen von einer Prospekt- Börse. Am Ende werden alte Prospekte noch so wertvoll wie altes Blechspielzeug und das Dorotheum bietet sie in einer Sonder-Auktion an!

Die wirklich schönen Dinge im Leben sind gratis - und werden in diesem Falle sogar frei Haus zugestellt. Noch ist es nicht verboten, Prospektpapier dem Recycling zu entziehen. Getrost blicken wir der steigenden Flut im Briefkasten entgegen. Was ist denn heute wieder gekommen? Möbel auf Hochglanz und Autos auf Halbkarton! Herrlich! Wo ist die Schere? An die Arbeit, Kinder!

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