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Mit Oneiros Hilfe verfasste Botschaften aus dem belagerten Belgrad.

Träume über Städte und Städte in Träumen. Das eine oder das andere? Manchmal eine kaum merkliche Möglichkeit der Abgrenzung. Manchmal auch ganz vermischt, über- und ineinander … In letzter Zeit erwachen ein paar seltsame Belgrads in meinen morgendlichen Träumen. Die Plätze und Straßen, die öffentlichen Gebäude verändern ohne Scham ihren Standort, obwohl sie ihre realen Namen gewissenhaft beibehalten."

Die morgendlichen Aufzeichnungen, die der Architekt Bogdan Bogdanovic während seines Aufenthalts in seiner verbarrikadierten Bibliothek in Belgrad machte, verfolgt von Slobodan Miloševi´cs Schergen, verweisen auf eine veränderte Dramaturgie seiner Träume. Statt über "romantische Orientalismen" oder Tiere zu träumen, spiegeln die Albträume über die städtischen Verschiebungen den Kriegszustand in Serbien. Er konnte seine Wohnung nicht mehr verlassen, nur durch einen Fensterspalt nach draußen blicken und in der Morgendämmerung auf der Terrasse kurz Luft schnappen. Die Stadt ist für den Stadtforscher ein ebenso historischer wie mythischer Ort, den er in seinen Schriften und Träumen ebenso umkreist wie in den von ihm gebauten Mahnmälern und Gedenkstätten, die als Textzeichen in die Landschaften und Orte eingeschrieben sind.

Der seit 1993 im Wiener Exil lebende Architekt, Schriftsteller, Professor an der Belgrader Universität, der von 1982 bis 1986 Bürgermeister von Belgrad war und kürzlich seinen 85. Geburtstag feierte, verfasste Notizen, die er in eine fest verschlossene, mit dunkelgrüner Tapete beklebte Waschmittelschachtel durch eine Art Briefkastenschlitz im Deckel schob: "In den letzten Vorkriegsjahren und dann besonders in den Kriegsjahren bemühte ich mich, all meine Gedanken dem Zugriff der Selbstzensur zu entziehen, und so sandte ich mir selber Botschaften, von denen ich glaubte, ich würde sie niemals mehr lesen."

Die grüne Schachtel existiert heute nur mehr als Buch, die Flucht aus Belgrad hat sie nicht überstanden, dafür aber die unzähligen Zettel, auf denen Bogdan Bogdanovic seine nicht datierten Träume aufgezeichnet hat, versteckt in Pfannen und Töpfe oder zwischen Kissen und Lappen. Jahre später liest er sie in Wien und ist überrascht über deren Inhalt, über die bisweilen "lyrischen Zeugnisse" und Absurditäten des Alltags, wundert sich über so manchen Traum während des Belagerungszustands seiner Belgrader Wohnung. Zum Glück entschließt er sich zu einer Veröffentlichung dieser ebenso poetischen wie klugen Notizen, die ihn als gelehrten und humorvoll versöhnlichen Zeitgenossen zeigen. So beschwört er den griechischen Traumgott Oneiros, bezeichnet ihn aber als armen, arbeitslosen altgriechischen Halbgott, der allerdings als Sekretär seine Pflicht erfüllt und ihm bei seinen Aufzeichnungen zur Seite steht und zwar so gut, dass sich Die grüne Schachtel zu Recht als eines der interessantesten Beispiele in die literarische Tradition der Traumbücher einreihen kann.

Bogdanovic gruppiert seine nächtlichen Aufzeichnungen um Themenfelder, kommentiert sie aus der Perspektive der Gegenwart, informiert über die geschichtlichen Ereignisse und seine Rolle in ihnen und stellt jedem Kapitel eine seiner kleinen bezaubernden Skizzen voran. Dabei vermeidet er es, die Träume zu erklären oder zu interpretieren und lässt uns teilhaben an seinen metaphysischen Gedanken, seinem Humor und seinen surrealen "Monodialogen", fordert uns zum Mitträumen auf und überrascht uns am Ende mit seinem Geständnis: "Meine Ideen sind letzte Nacht unwiederbringlich in den Wald gegangen. Wahrscheinlich haben sie sich über mich geärgert und sich zu den Partisanen davongemacht. Ich erwache und schrieb den Unsinn auf."

Die grüne Schachtel

Buch der Träume

Von Bogdan Bogdanovic. Aus dem Serbischen von Katharina Wolf-Grießhaber

Zsolnay Verlag, Wien 2007

335 Seiten, geb., € 23, 50

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