Übersetzerin des Islam

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Die Islamwissenschaft im deutschen Sprachraum wird von einer Frau angeführt. Das ist nicht die einzige Besonderheit, für die Annemarie Schimmel, die vergangenen Sonntag 80 Jahre alt wurde, steht. Fasziniert von den Übersetzungen Friedrich Rückerts begann die 1922 geborene Erfurterin bereits mit 15 Arabisch zu lernen. Sie studierte Islamwissenschaft und Arabistik in Berlin, wo sie 1941 promovierte.

1946 wurde die 24-Jährige - wegen ihrer Jugend und ihres Geschlechts eine Sensation - in Heidelberg habilitiert. Aus den gleichen Gründen sensationell war 1954 ihre Berufung für Religionsgeschichte an die islamisch-theologische Fakultät in Ankara. Ab 1961 lehrte sie an der Universität Bonn inne, seit 1967 auch in Harvard in den USA, danach wurden ihr Gastprofessuren in aller Welt angeboten.

Schimmels Forschungsgebiete, die in über 100 Büchern Niederschlag fanden, reichen von den ägyptischen Mameluken bis zu islamischer Kalligrafie. Schimmels Sprachgenie - neben Arabisch, Persisch, Türkisch beherrscht sie auch die pakistanischen Sprachen Urdu, Sindhi und Pandschabi - ermöglichte ihr die intensive Auseinandersetzung mit islamischer Dichtkunst; ihre Arbeiten über den Dichter Iqbal, den geistigen Vater Pakistans, machten sie zur bekanntesten Europäerin am Indus. Im Westen erfuhr die islamische Mystik durch Schimmel Verbreitung, ihre Übersetzung - im wörtlichen wie im übertragenen Sinn - öffnete das Verständnis für diese Kultur. Ihre kleine, bei Reclam erschiene Islam-Einführung zählt heute noch zur Pflichtlektüre für alle, die diese Religion kennenlernen wollen.

1995 wurde Annemarie Schimmel der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen. Die Preisvergabe war von Misstönen begleitet, weil sie sich in einem Interview missverständlich zum iranischen Tötungsaufruf für Salman Rushdie geäußert hatte.

Seit 1999 sponsert Schimmel an der Universität Bonn eine Annemarie-Schimmel-Professur, die mit international angesehenen Islamwissenschaftern besetzt wird.

Letzten Dezember äußerte sich Schimmel im furche-Interview zu den nach dem 11. September aufgebrochenen Diskussionen um das rechte Verständnis des Islam. Auch da griff sie auf ein Wort des von ihr so geliebten pakistanischen Dichters Iqbal zurück: "Der Dichter Muhammad Iqbal hat es wohl am schönsten ausgedrückt: Man soll den Koran lesen, als ob er in diesem Moment für einen selbst offenbart worden sei. Das heißt, der Koran kann zu jeder Zeit neu interpretiert werden." ofri

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