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Es war einmal: Mondschön, rosenwangig, zypressenschlank. Die heutige Lyrik islamischer Frauen ist anders.

Während unter Europas Bürgern die Angst vor einer "Orientalisierung" durch einen EU-Beitritt der Türkei wächst, hat die 2003 verstorbene deutsche Orientalistin Annemarie Schimmel ein Testament hinterlassen, das diese Ängste zwar nicht ausräumen kann, jedoch relativiert: "Ein Buch namens Freude" heißt ihr Vermächtnis. Jahrzehnte lang sammelte die in Harvard und Bonn lehrende Professorin für indo-muslimische Kultur Gedichte von Frauen aus der islamischen Welt.

Seit 1400 Jahren haben Frauen von Marokko bis Afghanistan in verschiedenen Sprachen - Arabisch, Türkisch, Persisch, Urdu, Sindhi - bewiesen: Auch die zum Schweigen verurteilte Hälfte der muslimischen Welt hat eine Stimme. (Noch im 19. Jahrhundert mussten zum Beispiel persische Frauen einen Finger unter die Zunge stecken, um ihre Stimme zu entstellen, wenn sie mit einem fremden Mann sprachen.) Viele Jahrhunderte waren muslimische Frauen Analphabetinnen und ließen es sich doch nicht nehmen, Gedichte zu erfinden, sie mündlich weiterzugeben, ihre Kinder mit eigenen Versen in den Schlaf zu singen. Es gab hochgebildete Singsklavinnen, vergleichbar den Hetären im alten Griechenland, den Kurtisanen in Indien, den Geishas in Japan. In der arabischen Welt brach nach der Zerstörung von Bagdad 1258 durch die Mongolen die gebildete Dichtung von Frauen (und Männern) ab, die Volksdichtung lebte weiter. Das 19. Jahrhundert brachte Frauen in den arabischen Ländern, in Persien und der Türkei zum ersten Mal die Möglichkeit der Schulbildung, den Kontakt mit westlicher Dichtung und damit die Befreiung von strengen poetischen Regeln.

Heute kann eine Kuweiterin schreiben: "Ich schieße auf den Reim / und steche das Messer / ins Fleisch des Metrums ..." Die erste Hälfte der von Annemarie Schimmel wunderbar übersetzten 100 Gedichte stammt aus der Zeit vor dem 20. Jahrhundert. Liebeslieder, Klagelieder, Totenlieder: "Der Morgen der Freude verging / und ward zum Abend des Grames." Es fehlen auch nicht Spottgedichte auf ungeliebte Ehemänner, die in islamischen Ländern oft viel älter sind als ihre Ehefrauen.

Der Aufbruch erfolgte im 20. Jahrhundert: "Mondschön, rosenwangig, zypressenschlank" geben sich die heutigen muslimischen Frauen nicht mehr. Als Schimmel 1998 im südlichen Pakistan an einem Treffen von 40 Dichterinnen teilnahm, erlebte sie einen Aufschrei von Frauen. Keine Rede mehr von Sehnsucht nach einem fernen Geliebten. Palästinenserinnen klagen über ihre toten Söhne, Brüder, Väter. Eine Sudanesin höhnt: "Ich bin das Kind der Spenden, / der Stamm der Hilfsempfänger ... / und von Hunger zu Siechtum / und von Krankheit zu Unwissenheit / wechseln mit den Tagen meine Lieder ab und meine Tragödien." Eine Frau aus Kuweit, Jahrgang 1954, lehnt sich gegen die ihr eingeimpften Rollenbilder auf: "Meine Mutter sagte: Sei eine Tochter! Sei eine Schwester! Sei eine Frau! In diesem Hause! // Und ich ward, wie meine Mutter es sagte: Eine Tochter des Verwaistseins, eine Schwester der Sorgen, eine Frau für den künftigen Tod."

Zornig sind muslimische Frauen. Sie rufen nach Bildung. Allein sind sie, mit "Linien müden Ärgers" um den Mund. Langweilig ist jenen, die noch immer weggesperrt werden. Sie rütteln an den Ketten der Konvention, sehnen sich nach echter Partnerschaft ... Dieser Tropfen aus dem Ozean der Lyrik muslimischer Frauen sollte auf fruchtbaren Boden im Westen fallen. Welche westliche Frau kann sich der Angst vor der Orientalisierung Europas noch hingeben im Wissen um Millionen Geschlechtsgenossinnen, die Freiheit ersehnen?

Ein Buch namens Freude

Gedichte von Frauen aus der islamischen Welt. Ausg., übers. von Annemarie Schimmel, hg. von Gudrun Schubert

Verlag C. H. Beck, München, 2004

138 Seiten, geb., e 20,40

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