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Vielleicht gibt es einmal ein Deutschland

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Null-Acht-Fünfzehn. 2. Band. Die seltsamen Kriegserlebnisse des Soldaten Asch. Von Hans Hellmut Kirst. Verlag Kurt Desch, Wien-München-Basel. 431 Seiten.

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Null-Acht-Fünfzehn. 2. Band. Die seltsamen Kriegserlebnisse des Soldaten Asch. Von Hans Hellmut Kirst. Verlag Kurt Desch, Wien-München-Basel. 431 Seiten.

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„Wie soll das weitergehen", fragt unwillkürlich der kritische Leser. Vor einem halben Jahr erst trat der Kasernenhofroman Hans H. Kirsts im Schatten der deutschen Wiederbewaffnung seinen Siegeszug als vieldiskutierter Best-Seller an und schon liegt fein säuberlich gebunden der Fortsetzungsband vor. Will der Autor, durch die rollende D-Mark verlockt, es mit seinem Helden, dem Gefreiten Asch, genau so halten, wie einst eine gängige deutsche Jungmädchenromanschreiberin: „Der Trotzkopf", „Trotzkopfs Brautzeit", „Trotzkopfs Ehe", „Trotzkopf als Großmutter" ? Ein Alptraum sieht den federgewandten Hans Hellmut Kirst bereits wieder am Schreibtisch sitzen und am 3. Band von Null-Acht-Fünfzehn arbeiten: „Die seltsamen Nachkriegserlebnisse des Zivilisten Asch “ Daß nebenbei in seinem Kopf schon das Konzept für Band vier fertig ist, in dem — nun fangen wir von vorn wieder an — von den seltsamen Erlebnisse von Asch jun. auf einem Kasernenhof der kommenden deutschen Streitkräfte die Rede sein soll, ist böswillige Verleumdung!

Tatsache aber ist, daß man an den vorliegenden Band mit all der Skepsis geht, die nun einmal erfahrungsgemäß Fortsetzungen von Erfolgsromanen gegenüber angebracht ist. Wird der Autor seinen Atem durchhalten? Ja, er hält ihn. Durch eine geschickte Viertelwendung schwenkt er den Lauf seiner 08 15 von der Brust der Rekruten schindenden Unteroffiziere ab, und nimmt den nicht unbekannten Typ des Frontoffiziers mit Etappenallüren aufs Korn. Hauptmann Witterer ist das Ziel, auf das Kirst diesmal „Feuer frei!" gibt; ein geschniegeltes Herrchen, das wenige hunderte Meter hinter der Front der HDV (für Nichtgediente in der weiland großdeutschen Wehrmacht: Heeresdienstvorschrift) zum Durchbruch verhelfen will, -während seine Gedanken bei seiner Karriere und den Damen einer Wehrbetreuungstruppe weilen. Hauptmann Witterer ist genau so unheimlich Fleisch und Blut wie jener Schleifer Platzek von Band eins. Ebenso das gewissenlose „Organisiergenie" Uffz. Soeft und manche andere Lemuren des graugrünen Totentanzes. Wir kennen sie alle, -wir sind ihnen leibhaftig einmal irgendwo im Osten oder Westen, zwischen der Feuer- und der Fern- protzenstellung persönlich begegnet. Daß sie andere Namen trugen, ändert nichts an der Identität der Charaktere. Natürlich ist im Buch — und im Leben — auch der inzwischen vom Gefreiten zum Wachtmeister beförderte unheldische Held Asch mit von der Partie. Neben seinen Kameraden: dem unglücklichen Vierbein, dessen Geschick sich erfüllt, und dem glücklicheren Kowalski, der als Obergefreiter und Cheffahrer die berühmte „ruhige Kugel" schiebt. Und nicht zu vergessen: Oberst Luschke. Jener im ersten Band nur durch sein süffisantes Lächeln charakterisierte ehemalige Major tritt uns jetzt viel stärker profiliert als mit dem Geschick und dem 3. Reich hadernder, nicht unsympathischer „letzter Preuße" entgegen.

Das Buch ist wie sein Vorgänger „gut gemacht". Hans H. Kirst weiß, was zu einer Millionenauflage notwendig ist: in seinem Kommißtrinkbecher mischt er daher geschickt verschiedene Essenzen — Antinazismus und Frontkameradschaft, stummes Helden- und lautes Angebertum, ein Schuß Landser„erotik" (oder was man so nannte) darf nicht fehlen. Keine Dichtung, keine Literatur, aber eine Reportage mit stellenweise zeitkritischem Tiefgang.

Das kommt vor allem auf den letzten Seiten zum Ausdruck. Wo „Null-Acht-Fünfzehn Nr. 1" in eine

Burleske mündete, schlägt Kirst in „Null-Acht- Fünfzehn Nr. 2" ganz andere Töne an. Nach dem Originaltext verlogener Wehrmachtsberichte steht die Totenrede, die Asch, gleich einem Perikies des 2. Weltkrieges, seinem gefallenen Kameraden Vierbein hält:

„Der Wachtmeister Asch sagte: ,Wir begraben hier den Unteroffizier Vierbein und seine Geschützbedienung. Niemand weiß genau, wie sie starben. Als wir sie auffanden, waren sie alle tot. Und fest steht nur eines: So können wir vermuten, sie starben nicht gerne.“

Und der Wachtmeister Asch sagte weiter: ,Es kann wohl gesagt werden, daß sie tapfer starben. Was aber Tapferkeit ist, weiß niemand von uns genau. Es kann die Stille vor dem Tod sein, die Ergebenheit in das, was Schicksal genannt wird. Ich habe niemand dieser acht schreien hören, ich habe keinen weinen sehen — der Krieg war zu laut.“”

Und als die alten Freunde Asch und Kowalski allein zusammensitzen, kommen ihnen wieder trübe Gedanken. Mit ihnen schließen das Buch und — hoffentlich — die seltsamen Erlebnisse des Soldaten Asch.

,„Für dieses Deutschland will ich nicht sterben“, sagte der Wachtmeister Asch.

,Wer fragt dich denn darnach?’ wollte Kowalski wissen.

,Es muß ein anderes Deutschland geben, für das es sich zu sterben lohnt.“

.Mensch!’ sagte Kowalski, .vielleicht gibt es sogar einmal ein Deutschland, in dem es Spaß macht, zu leben!’"

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