6576829-1950_48_02.jpg
Digital In Arbeit

Dritter Mann und Drittes Reich

Werbung
Werbung
Werbung

Geographische Unkenntnisse sowie Mißverständnisse über europäische Verhältnisse haben aufgehört, wirklich komisch zu wirken. Sie haben gleichsam ihre Grundierung verloren, dieses unbewußt tragende Gefühl, daß Europa der Nabel der Welt sei, so daß der, der hier nicht Bescheid wüßte, mit ein lustiger Allerweltsbanause sein könnte. Geblieben ist indes die Relation zwischen der Gewichtigkeit einer Aussage und dem Ernst des Bemühens um sie; sie wurzelt nicht in zeitlich-geographischem Werturteil, sondern ist auf Dauer im Verantwortungsbewußtsein verankert.

Da hat nun Orson Welles, weltbekannt als Harry Limes in .Third Man“, in Deutschland gefeiert und umjubelt, eine ganz einträgliche Tournee absolviert, um sich abschließend in französischen und holländischen Zeitungen recht oberflächlich-gehässig über das Gastland zu äußern. Er habe dort hauptsächlich „Nazis, Mystiker und Militaristen“ angetroffen, auch hat ihm im ganzen weder die Landschaft noch das Städtebild sonderlich gefallen. München beispielsweise, „dessen Vorstädte sich weit nach Tirol hinein erstrecken“ faber, aber!), wird wegen seiner „falschen Gotik und Pappkartonbarock“ getadelt, anderen Städten ergeht es wenig besser. Nun, man möchte niemand das vergnügliche Recht auf geographische oder künstlerische Ignoranz absprechen, damit läßt sich kein großer Schaden anrichten. Aber die Bemerkung über „Nazis, Mystiker und Militaristen“, die ist ehrlich bösartig. Nicht sosehr weil Orson Welles sie nach einem erfolgreichen Gastspiel tat, sondern weil er, wie recht allgemein bekannt, sich gar keine Mühe gab, den Dingen auf den Grund zu gehen und seine Zeit zwischen Bühne, Hotel und Nachtklubs verbrachte, also höchstens mit Absynth-Mystikern, Barmilitaristen und anderen Erscheinungen zusammengekommen sein mag, zu deren Wesensmerkmalen nicht der Widerstand bis zum letzten gerechnet werden darf. Die westdeutsche Reaktion auf Orson Welles' Ausflug in die Grenzgebiete von Phantasie und Reportage istr daß viele Kinos seine Filme nun ablehnen, während in der Ostzone bereits früher auch die „degenerierte Zithermusik“ des „Third Man“ lokal verboten worden war. Die Abneigung gegen den dritten Mann scheint rein äußerlich, zusammen mit der Kartoffelkäferbekämpfung, zu den ganz wenigen west-östlichen Dingen in Deutschland zu gehören.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung