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WELLES ODER DAS GENIALISCHE

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Es geschah am 30. Oktober 1938. Ein Hörspiel beschwor wegen seiner realistischen Gestaltung eine Panik unter der Bevölkerung der Vereinigten Staaten herauf. Vorlage war der utopische Roman „Krieg der Welten“ von R. G. Wels. Am Ende der Sendung, die eine so unbeschreiblich starke Wirkung hatte, hieß es: „Ich habe das Manuskript geschrieben, ich habe inszeniert und war der Sprecher. Mein Name ist Orson Welles.“ Das gleiche Nachwort trug vor ein paar Jahren sein außergewöhnlicher Kafka-Film „Der Prozeß“. Dieser Mann, der bereits mit zehn Jahren in der Schule Shakespeare inszeniert hatte, der mit 26 Jahren Produzent, Autor, Regisseur und Hauptdarsteller von „Citizen Kane“ war, einem Film, der heute noch zu den bedeutendsten und faszinierendsten Werken der Filmgeschichte gehört, ist wohl einer der eigenartigsten Filmschöpfer der Welt. Drei seiner Filme zumindest gehören mit zu den großen, zeitbeständigen Werken der oft so bestrittenen, durch ihn aber immer wieder bestärkten Filmkunst: außer dem bereits genannten Erstlingswerk „Die Lady von Shanghai“ und seine bezwingende Shakespeare-Version des „Othello“. Mehr noch läßt sich wohl die Kraft seiner Persönlichkeit verdeutlichen, wenn man in Betracht zieht, daß ihm die so schwer zu überzeugenden Hollywood-Bosse einen einmaligen, unbeschränkten Vertrag ausgehändigt hatten. Und trotzdem — so groß seine Möglichkeiten waren, mußte er sich bei seinen Dreharbeiten immer wieder gegen finanzielle Schwierigkeiten durchsetzen, denn maßlos wie sein Talent waren auch seine Anforderungen.

Aber er setzte sich immer wieder durch. Um neue Filme drehen zu können und um sein kraftvolles schauspielerisches Temperament zu nutzen, spielte er unter anderen Regisseuren und war so beispielsweise ein hinreißend dämonischer Cagliostro, ein maßloser Caesare Borgia und der berühmte zwielichtige Verbrecher in Carol Reeds „Der dritte Mann“. So reich das Glück ihm auf seiner Laufbahn begegnet, beschwört er auch stets die dunklen Tage herauf: Auseinandersetzungen bei John Hustons „Moby-Dick“-Verfllmung und bei dem von Jahr zu Jahr verschobenen großangelegten Marco Polo-Film, der noch heute nicht erschienen ist; er selbst mußte immer wieder seine Pläne umdisponieren oder fallenlassen. Es werden um seine Person Gerüchte und Legenden errichtet, und gewiß war nur, daß er vor Anfang des Jahres sehr schwer erkrankt war, daß sich zahlreiche Ärzte um sein Leben gesorgt hatten und daß der Produzent seines letzten Filmes an dieser Krankheit eine hübsche Stange Geldes verloren hat.

Doch die übernatürliche Vitalität und geistige Spannkraft konnte sich wieder erheben: Orson Welles realisierte vor kurzem einen seiner ältesten Pläne: Er verwirklichte die Geschichte des Sir John Falstaff, die ihn seit seiner frühesten Jugend verfolgt hatte. Unter dem Titel „Chimes at Midnight“

(„Glockenklänge um Mitternacht“) entstand unter der gemeinsamen Produktion von Emiliano Piedra und Harry Saltzman („Goldfinger“) innerhalb von 119 Drehtagen ein Film, der Shakespeares „Heinrich IV.“ 1 und 2 und „Heinrich V.“ zusammenfaßt. Unter den Darstellern finden sich neben Orson Welles als Falstaff Sir John Gielgud, Fernando Rey, Antonio Casas, Jose Nieto und Andres Mejuto. Die Welturaufführung fand während der Internationalen Film-

festspiele in Cannes statt. Orson Welles, der übrigens am 6. Mai seinen fünfzigsten Geburtstag feierte, erfreut sich wieder bester Gesundheit. Seine Zukunftspläne jedenfalls lassen nichts von einer Schwächung erkennen. „Die Welt kann noch viele Schocks vertragen“ — freilich, jener von 1938 würde uns heute nicht mehr rühren.

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