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Visionen eines Genies

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In diesem Jahr ist der Film, die siebente Kunst, 70 Jahre alt — ein wahres Kindesalter für ein Medium der Kunst, das neben den erwachsenen Schwestern Theater, Dichtung, Malerei, Musik usw. noch wie ein unreifes Baby seine ersten Schritte tut... Die Filmgeschichte hat eben erst begonnen — doch wird sie in Jahrzehnten und noch mehr einmal rückblickend beschrieben werden, so wird ein Name mit an der Spitze stehen: Orson Weltes, der nicht nur mit seinem Erstling „Citizen Kane“ alle Möglichkeiten der Kinematographie ausschöpfte, sondern darüber hinaus stets in allen seinen Werken die Kunst des bewegten Budes in Vollendung demonstrierte. Welles weiß wie kein Zweiter Büd und Ton In vollkommener Harmonie zu gestalten — und er scheut auch wie kein anderer Filmregisseur davor zurück, andersgeartete Medien seiner Visionen von „Film“ Untertan zu machen; sein neuestes Werk — für uns Österreicher zumindest — beweist dies: Um seine Ideen von „Falstaff“ zu verwirklichen, hat er gleich fünf Dramen Shakespeares herangezogen, seziert und neu zusammengesetzt und das Ergebnis ist ein eigenständiges Filmdrama, das sehr gut von Shakespeare selbst sein könnte, der es nur versäumt hat zu schreiben... Dieser Falstaff, von Welles selbst als tragischer Clown verkörpert (zutiefst menschlich, wie eben ein großer Clown ist), stammt aus Zitaten aus „Richard IL“, „Heinrich IV.“, „Heinrich V.“ und „Die lustigen Weiber von Windsor“ und ist dennoch ein Guß, ein Stück, eingebettet in eine filmische Konzeption, die bewundernswert ist. Noch nie war eine Schlacht in einem historischen Geschehen ein solch mörderisch-wildes Schlachten, noch nie ein schwarzweißes Filmbild so voller Farbe und eine Szene so voller bedeutungsschwerer Aussage wie hier — und mögen Shakespeare-Kenner auch entsetzt sein — noch kaum war Sha-kespearscher Geist so filmisch umgesetzt wie in dieser Neudichtung, deren Tragik und Größe unter den Filmen der letzten Jahre kaum ihresgleichen besitzt.

Das Kino beschenkt uns besonders während der letzten Monate mit einer Hausse von Filmen aus der englischen Historie; nach „Alfred der Große“ war es das Schicksal von König Heinrich VIII. zweiter Gemahlin Anna Boleyn, die als „Königin für 1000 Tage“ Filmheldin wurde, und vor wenigen Wochen bewegte das tragische Geschehen der Absetzung und Hinrichtung von Charles I. in „Cromwell“ die Gemüter der Zuschauer. Das neueste — und zeitlich älteste — Lehrstück aus der Geschichte der britischen Königshäuser können wir nunmehr miterleben: die Haus- und Hofintrigen um König Heinrich IL, die in künstlerisch-dramaturgisch komprimierter Form am Weihnachtsabend des Jahres 1183 in Schloß Chinon spielend, das Thema des schon zwei Jahre alten Films „Der Löwe im Winter“ bilden. Als Bühnenstück von James Goldman (der danach auch das Drehbuch schrieb) war das psychologisch hochmodern aufgeputzte und mit ungeheuer theaterwirksamen Rollen ausgestattete Geschichtsbild ein so riesi-der Broadwayerfolg, daß die Verfilmung nicht lange auf sich warten lassen konnte. Und so können wir jetzt zwei Spitzendarsteller der englisch-amerikanischen Bühne (und zugleich auch des Kinos) in einem Film bewundem, das dem Theater eher verbunden ist als der Gestaltungs-form der Kinematographie: gleich einer mittelalterlichen „Virginia-Woolf“-Bhezerfleischurtg, psychologisch höchst modern und modisch einander sezierend, spielen uns Ka-therine Hepburn und Peter O'Toole einen Kampf der Geschlechter vor, der fast strindberghaft anmutet. Sehenswert.

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