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Dokumentation dominierte

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Der „Premio Italia” — die internationale Konkurrenz der Fernseh- und Rundfunkstationen — wurde heuer in Mantua ausgetragen. Wie üblich, wurde sowohl für das Fernsehen wie für das Radio in drei Kategorien gewertet, in den Sparten Musikwerk, Sprechstück und Dokumentarbericht. An der Teilnahme der Journalisten, die den Vorführungen beiwohnten, ließ sich dabei ziemlich genau jenes Interesse herauslesen, das eine breitere Öffentlichkeit an den Produktionen nehmen dürfte: Während der für die Radiohörspiele und die Radiodokumentation bestimmte Saal fast immer leer blieb, während die musikalischen Radiowiedergaben einige wenige Hörer anlockten, wurden die Fernsehdarbietungen wesentlich stärker besucht. Bei diesen wiederum zogen die Dokumentarfilme das zahlreichste Publikum an, während auch die interessantesten künstlerischen Produktionen, trotz häufigen Einsatzes der Farbe und obwohl zum erstenmal für eine Simultanübersetzung gesorgt worden war, weniger frequentiert wurden.

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Der „Premio Italia” — die internationale Konkurrenz der Fernseh- und Rundfunkstationen — wurde heuer in Mantua ausgetragen. Wie üblich, wurde sowohl für das Fernsehen wie für das Radio in drei Kategorien gewertet, in den Sparten Musikwerk, Sprechstück und Dokumentarbericht. An der Teilnahme der Journalisten, die den Vorführungen beiwohnten, ließ sich dabei ziemlich genau jenes Interesse herauslesen, das eine breitere Öffentlichkeit an den Produktionen nehmen dürfte: Während der für die Radiohörspiele und die Radiodokumentation bestimmte Saal fast immer leer blieb, während die musikalischen Radiowiedergaben einige wenige Hörer anlockten, wurden die Fernsehdarbietungen wesentlich stärker besucht. Bei diesen wiederum zogen die Dokumentarfilme das zahlreichste Publikum an, während auch die interessantesten künstlerischen Produktionen, trotz häufigen Einsatzes der Farbe und obwohl zum erstenmal für eine Simultanübersetzung gesorgt worden war, weniger frequentiert wurden.

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Diese Publikumsresonanz entsprach nicht nur der Aktualität des Gebotenen, sondern auch seiner Qualität. Ganz offenkundig neigt dias Fernsehen auf der ganzen Welt dazu, den Großteil seiner finanziellen Mittel in die Dokumentation zu investieren, wobei auch die Dokumentation über die Kunst inbegriffen ist. Das Zeitgeschehen steht jedoch im Vordergrund: wahrhaft erschütternd wirkte die Reportage von den Ereignissen in der Tschechoslowakei, die von BBC hergestellt wurde und ohne Zweifel den ersten Preis verdient hätte, was aber — sicher nicht zuletzt auf Grund eines Protestes der tschechischen Delegation — unterblieb. Die BBC wurde dafür durch die Zuerkennung des ersten Preises für „Signals for survival” entschädigt, für einen Film über das Leben der Möven! In die engste Wahl hätte hier auch Österreichs Beitrag kommen müssen: „Friede durch Angst”, ein Bericht, den Hugo Portisch von seinen Besuchen in den amerikanischen Raketenabwehrzentren mitforachte, wäre für einen Preis gut gewesen. Doch beim Premio herrscht offenbar die paradoxe Ansicht, daß eine noch so brennende Aktualität, wenn sie irgendwo politisch Anstoß erregen könnte, für eine Auszeichnung nicht in Frage kommt. Gute Reportagen dieser verbotenen Richtung brachten beispielsweise das Schweizer Fernsehen mit einer Art Wochenschau über Monstruositäten unserer Zeit (Drogen, Homosexualität usw.) und die Vereinigten Staaten mit Bildberichten von der ersten Mondumkreisung und der Weltraumforschung.

Die Auszeichnung des tschechischen Films „Labyrinth der Macht” in der Sparte der Musikproduktionen für das Fernsehen war eine ausgesprochene Verlegenheitslösung, da sich einfach nichts Besseres anbat; zugleich wahrscheinlich auch ein Sympathiebewedą der dem Volk galt, das selbst in so tragischer Weise ins Labyrinth der Macht verstrickt ist. Es handelt sich um eine pantomimisch dargebotene Schau primitiver Symbolismen, welche die verschiedenen Arten der Macht — die Macht des Geldes, der Liebe, der Sexualität, der Schönheit usw. — ins Bid bringt.

Die Musik von Lubos FiSer ist ebenfalls recht kunstlose Montage und sagt nichts über die vielleicht vorhandenen kompositorischen Fähigkeiten des jungen Mannes aus. Als zweiten Preis in dieser Kategorie vergab die Stadt Mantua eine Auszeichnung an den italienischen Streifen „Das Ende der Welt”. Der Titel hat nichts mit dem Inhalt zu tun: eine Opėra-minute, die sich um ein Liebespaar und den eifersüchtigen Dritten handelt, wird in 13 Variationen durch die Kulturgeschichte der letzten tausend Jahre gewälzt, wobei die Music von Gino Negri sich in der Kopiatur der verschiedenen Stile gefällt. Er reüssiert dabei nicht besser als diverse Kabarettmusiker, die ein Volkslied im Stäle verschiedener Meister bearbeiten.

Wesentlich interessanter war da schon der Beitrag des belgischen Radios „Le voyage de votre Faust”. „Votre Faust” ist bekanntlich die Oper, die Henri Pousseur nach dem Text von Michel Butor als eine Art Vexierspiel konzipierte, wobei je nach Laune des Publikums verschiedene Handlungsabläufe möglich sind. Die Oper, die heuer bei der Premiere in Mailand nicht sehr viel Erfolg hatte, äst auch im Musikalischen überaus vielschichtig und kompliziert angelegt. Für den Film haben nun die beiden Autoren die fünf verschiedenen Schlußszenen der Oper, von denen an einem Opem- abend jeweils nur eine aufgeführt werden kann, nebeneinandergestellt. So wie die Oper einen ellenlangen Kommentar benötigt, so ist auch der Film ohne einen solchen kaum ganz zu verstehen. Das, was optisch und akustisch an den Hörer herankam, erfüllte bis zu einem hohen Grad die Erwartungen, die man in ein modernes Kunstwerk setzt. Seine Esoterik steht trefflich mit den Veibreitungs- möglichkedten des Mediums im Widerspruch.

Zahlreiche weitere Musikproduktionen haben diesen Widerspruch ebenfalls nicht gescheut, am wenigsten das Westdeutsche Fernsehen, das mit Mauricio Kagels „Hallelujah” offenbar einen Film zum Genuß sprach- gestörter Menschen hergestellt hat.

Die Anhäufung von Geschmacklosigkeiten und Widerwärtigkeiten in diesem unappetitlichen Machwerk läßt die Frage der Verantwortlichkeit für derartige Produktionen aktuell erscheinen. Neben solchen Mißgriffen schneidet das ehrliche, wenngleich erfolglose Bemühen um eine Improvisationskunst nach der Musik von Helmut Eder, wie sie der ORF mit „Konjugationen 3” bot, noch relativ anständig ab. Die Extreme überwiegen im übrigen: auf der einen Seite ein Avantgardismus ohne Ziel und Zweck, wie er etwa von dem niederländischen Film „Von A bis Z”, einem Tanz der Buchstaben nach einer musikalischen Konstruktion von Madema, repräsentiert wird, auf der andern ein Konservativismus, der selbst die Gartenlaube nicht scheut: als Beispiel gelte die süßliche amerikanische Geschichte von den „Vier kleinen Frauen”, deren sich eine Courths-Mahler schämen würde.

Ähnliche Diskrepanzen bestimmten die Musikproduktionen des Hörfunks. „Der Schrei”, eine Montage verschiedenster Vokalisationen, die der französische Rundfunk bei Maurice Ohana bestellte, ist gegenüber musikalischen Frechheiten wie „Das will sagen” von Luciano Berio oder „The Rara Requiem” von Sylvano Bussotti vielleicht noch als preiswürdig anzusehen, kaum aber neben einem wirklich guten und seriösen Werk, wie es durch das vom österreichischen Rundfunk eingesandte „Mirabile Mysterium” von Egon Wel- lesz repräsentiert wird. Eine einigermaßen befriedigende Verbindung avantgardistischer Ausdrucksmittel und atmosphärischer Wirkung stellte das mit dem zweiten Musikpreis ausgezeichnete Werk „Ndesse or Blues” des belgischen Komponisten Elias Gistelinck über Gedichte von Leopold Sėdar Senghor dar, in welchem afrikanische und negro- amerikandsche Sensibilität auf einen Nenner gebracht wird.

Da auch auf dem Sektor der dramatischen Produktionen im Fernsehen und Radio nur weniges Anklang fand, blieb der künstlerische Eindruck des diesjährigen Premio unter dem langjährigen Durchschnitt.

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