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Ein Pseudo-Mozart

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Der Unstern, der von Anfang an über dem Unternehmen stand, die Haydn-Hymne durch ein anderes Vaterlandslied zu ersetzen, verfolgt es auch weiterhin. Nun erst recht nach dem Votum der Jury, welche die Vertonung des einstigen Freimaurerbundesliedes „Brüder, reicht die Hand zum Bunde“ zum österreichischen Nationalgesang erheben will. Dies unter der Berufung darauf, daß Mozart der Komponist sei, der dodi gewiß würdig scheine, Haydn zu ersetzen. Es ist schon völlig abwegig, ein Vereinslied für irgendwelche Geselligkeitszwecke in einen feierlichen vater-ländisdien Weihegesang verwandeln zu wollen, wenn zehnmal Mozart der Komponist des Vereinsliedes ist. Aber wie jetzt Hugo Huppert in einer eingehenden Untersuchung im „österreichischen Tagebuch“ feststellt, stammt die Vertonung des Freimaurerliedes höchstwahrscheinlich überhaupt nicht von Mozart. Huppert beruft sich auf Universitätsprofessor Doktor Wilhelm Fischer und Frau Dr. Hedwig Kraus, Leiterin des Musikhistorischen Archivs, nach deren Urteil mehr als berechtigte Zweifel an der Autorschaft Mozarts bestehen, da nicht der geringste Hinweis auf ein Mozartsches Autograph gegeben ist.

„Das erscheint um so bedenklicher“ — sagt der Verfasser —, „als von der Freimaurerkantate sowohl Entwurfskizzen als auch Chor-und Orchesterstimmen von des Meisters Hsnd unter dem Nachlaß seiner Freunde in großer Zahl erhalten sind. Auch die Art des Periodenbaus und der Stimmenführung (besonders im Baß) widerspricht dem späten Schaffensstil Mozarts. Vollends die Fortlassung von vier Takten unterbricht den natürlichen rhythmischen Fluß, bewirkt eine störende Akzentverschiebung, die in der gebundenen Rede etwa dem Umfall der Versmelodie aus dem Daktylischen ins Anapastische entspräche. Von wem immer auch die Melodie stammen möge — eines steht also fest: daß dem Autor weder ein Hymnus noch ein A - c a p e 11 a - C h o r vorschwebte, sondern ein mehrstimmiges Lied mit begleitenden Vor- und Zwischenspielen. Es ist hier ein typisches Vereinslied, ein Tischrundengesang vorliegend, keineswegs ein zündender Hymnus von historischer Tragkraft. Im Laufe von anderthalb Jahrhunderten hat diese Weise keine Volkstümlichkeit zu erlangen vermocht, obwohl sehr viele Melodien Mozarts in Österreich längst zum Gemeingut des einfachen Volkes geworden sind.“

Jetzt steht man mit dem Hymnen-Abenteuer dort, wo die Lächerlichkeit beginnt. Es bleibt für eine vernünftige Lösung nur eines mehr über: Den verunglückten Versuch, die Haydn-Hymne durch einen freimaurerischen Tischrundengesang unbekannter Herkunft ersetzen zu wollen, in aller Stille zu begraben und die Haydn-Hymne mit einem zeitgerechten Text zu erneuern.

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