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Mahnung als Vermächtnis

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Die Aufsätze des 90jährigen Walter Goetz, fast altersgleich mit Friedrich Meinecke und seit dessen Tod Nestor der deutschen Historiker, kreisen alle um das Thema der Entwicklung der deutschen Geschichtswissenschaft. Sie sind eingeleitet von einem sehr persönlich gehaltenen Vorwort Theodor Heuss'. Beide waren ja Hörer Lujo Brentanos gewesen, gehörten dem Kreis um Friedrich Naumann an und saßen zusammen im Reichstag der Weimarer Republik. Goetz, Sohn eines bekannten Achtundvierzigers, 1867 in Leipzig geboren, gehört zu jener schaffensfrohen und rechtschaffenen Generation, die in der politischen Geschichte des Kaiserreiches keine Stimme gehabt hat, ja deren und deren Väter Hoffnungen eigentlich mit Friedrich III. eingesargt wurden und unter dem persönlichen Regiment seines Sohnes nur Mahner sein konnten. Seit 1905 ist er dann Ordinarius für Geschichte, erst in Tübingen, später in Straßburg und Leipzig, von wo ihn der Nationalsozialismus 1933 vertrieb. Nach 1945 wurde Geheimrat Goetz noch einmal aktiv: Mitglied und Präsident der Münchner Historischen Kommission, Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität. Er las noch bis 1952, und der Schreiber dieser Zeilen erinnert sich, daß in den Jahren der „schönen Not“ in seiner Vorlesung „Deutsche Geschichte 1914 bis 1945“ immer auch zahlreiche fakultätsfremde Hörer saßen, die, Klarheit über sich selbst suchend, nach Rankescher Art erfuhren, „wie es eigentlich gewesen“, aber auch, warum es so kommen mußte.

Die hier gesammelten Aufsätze, ausgezeichnet durch sichere sprachliche Führung und ruhige Diktion, sind teils bekannt, teils bisher ungedruckt gewesen, wie zum Beispiel die über Döllinger, Lamprecht, Mareks, Meinecke, über Harnack und Treitschke. lener über „Kaiser Wilhelm II. und die deutsche Geschichtsschreibung“ ist eine Auseinandersetzung mit Hans Helfritzens Buch über Wilhelm II. In dem Aufsatz „Die deutsche Geschichtsschreibung der Gegenwart“, der schon 1924 gedruckt worden war, heißt es etwa: „Die Aufgabe des Historikers ist nicht die Pflege der Pietät gegenüber einer mißverstandenen Vergangenheit, sondern die erbarmungslose Ergründung der Wahrheit.“ Solche Mahnungen, gewonnen aus der Erkenntnis, daß nationales Unglück keineswegs ein sinnloser Zufall sei, gelten für Historiker in jeder Zeit.

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