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Rechtfertigung des Deplacierten

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Cayrol hat von einem Mann und einer Frau geschrieben, die ihre Wohnung wechseln müssen, in Paris Er heißt Pierre, schnuppert frische Luft und neues Leben, sehnt sich darnach, aus alten und muffigen Wänden herauszukommen und aus Erinnerungen, die an verblichenen Tapeten kleben, aus einem Haus, in dem seit Jahren nur gestorben wird. Für sie aber, Cate, ist dieser Umzug etwas Unbehagliches. Sie möchte bleiben, wo und wie sie war. Sie hängt an der Vergangenheit und am Gewesenen. Sie will sich nicht verändern, weder innerlich noch äußerlich. Darüber geraten die beiden in Streit und sagen sich, was sie sich nicht hätten sagen dürfen. Der Verputz der Ehe blättert ab und dahinter kommt die Lebenslüge einer kląinęji . Bürg,erifl v, n l,r,eine schäbige Mauer zum Vorschein. Da verläßt er sie und sie gerät für eine Nacht in einen Strudel sonderbarer Ereignisse. Am Ende dreht sie den Gashahn auf, doch schon kommt Pierre wieder zurück und „fürs erste”, heißt es, „fürs erste war Cates Sterben ein Ende gesetzt.” Fürs erste nur, denn wie es weitergeht, erfährt man nicht und der Leser verläßt dieses Paar in einer ungeklärten Situation. Wird er siegen, wird sie siegen, gehen sie oder bleiben sie und war das Spiel die Kerzen wert? Das ist schwer zu sagen. Aber auf eine klare Lösung hat es Cayrol vielleicht gar nicht abgesehen und sein Roman geht aus wie Heinrich Bölls Roman „Und sagte kein einziges Wort”, in dem Bogner auch aus dem „Wartesaal” zurückkehrt zu seiner Frau, die (auch) Käte heißt.

Daß auch Böll diese fragwürdige Lösung bietet, scheint er vergessen zu haben, denn in seinem Nachwort zu Cayrols „Umzug” meint er, es sei das erregende und aktuelle Thema Cayrol , die „Rechtfertigung der Deplacierten zu bieten, der Bewohner des Wartesaals”. Es werde an einem ganz zivilen Umzug das Paradoxe der Deplaciertheit gezeigt und daß die Umziehenden, Sichverändernden, die Chiffre der Zeit begriffen haben. Man kann sich aber angesichts der erstaunlichen „Lösungen” fragen, ob nicht auch das zu einer Lebenslüge werden kann, das Niqbl-mehl-fest-sein-W.allen.?. Unter der, Hand nämlich scheinen Cayrol und Böll fn ihren Romanen die Trümpfe vertauscht zu haben und am Ende spulen sie wieder zurück, was sie aufgerollt haben. Das ist ein kurioser Vorgang, der zu denken gibt.

Das Buch ist aufschlußreich und interessant, auch literarisch. Die Kunst des knappen und intriganten Dialogs hat Cayrol offenbar von Mauriac gelernt, aber seine Sätze haben mehr symbolische Valenz. Dieser 1911 in Bordeaux Aufgewachsene, der jetzt zum Kreis um Alain Robbe-Grillet, Luc Estang und Lesort gehört, ist einer der bemerkenswerten neuen Franzosen.

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