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Schleichender Sektenwahn

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Schon ihre Großmutter konnte angeblich mit einem stechenden Blick die Pendeluhr zum Stillstand bringen. Und sie verfüge ebenfalls über gewisse Kräfte, flüsterte sie mir beim Kennenlernen vor Jahren. Tatsächlich trafen sich bei ihr regelmäßig Menschen, denen sie beim Tischerlrücken die rührendsten Botschaften von verstorbenen Angehörigen aus. dem Jenseits übermittelte. Ihr Mann -Assistent an der Universität -machte sich lustig darüber: Er, der rationale Mensch, zitierte gerne Kant und war mit derartigem Schnickschnack nicht zu irritieren. Trotz der beiden Kinder war die Ehe nicht recht glücklich. Sie hatte ihren Job als Lehrerin aufgegeben und fühlte sich als „grüne Witwe” nicht wirklich ausgelastet. Ständig auf der Suche nach Erfüllung wurde sie in verschiedensten Vereinen aktiv, suchte sich einen Liebhaber und fand schließlich eine Meditationsgruppe, in der sie zu höchstem Entzücken alle Chakren zum mutieren brachte. Sehr schnell lernte sie gesunde und kranke Energien zu orten und „umzupolen”und bald fühlte sie sich zur Heilerin berufen. All das schien noch harmlos, bis plötzlich Sri Mata Nirmala Devi mit strengem Blick wie eine Ikone über dem Eßtisch hing und sie sich in die Gruppe des „Sahaja Yoga” aufgenommen wähnte. Als im Eiltempo Erleuchtete pilgert sie heute regelmäßig zu Massentreffen nach Italien, um mit Tausenden Gleichgesinnten das „Erscheinen” ihrer Sri Mata zu erwarten, die für einige Stunden ihr Flugzeug verläßt um sich von ihren Jüngern huldigen zu lassen.

Zweiflern begegnet sie im Bewußtsein der absoluten Überlegenheit gnädig. Was man denn auszusetzen hätte: sie benötigt weder Liebhaber noch Vereinsmeierei, ■ die Kinder gedeihen prächtig und selbst die Ehe ist dank der positiven Energien, mit denen sie ihre Ansprüche durchsetzt oder wegmeditiert, gut geworden. Ihre Kontakte beschränken sich auf die Yogi-Familie”, in der es weder Titel noch soziale Unterschiede gibt, keine Barrieren zwischen Männern und Frauen, nur den großen, schwingenden Chakrengleich-klang. - Und die Gewißheit, einer Elite anzugehören.

Ihr Mann hat universitäre Karriere gemacht und genießt seine pflegeleichte Frau. Sie hat eine Führerin gefunden.

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