Amerika in der Pubertät

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Perfekte, saubere Arbeit: Mehr ist Martin Scorseses vielprämiertes Opus "Gangs of New York" über das Erwachsenwerden der USA leider nicht.

Es kann nur jemand vom Schlag eines Martin Scorsese einen solchen Film in Angriff nehmen. "Gangs of New York" wäre für die zahllosen braven Regiehandwerker Hollywoods eine Nummer zu groß - aber nicht, weil sie den ebenso zahllosen Kampfszenen mit hunderten Statisten nicht gewachsen wären oder man sie nicht mit großen Namen wie Leonardo DiCaprio, Daniel Day-Lewis oder Cameron Diaz betrauen könnte, sondern weil der Inhalt der gleichnamigen Buchvorlage von Herbert Ashbury aus dem Jahr 1928 viel zu gewichtig auf dem amerikanischen Ego lastet. Man muss ihm mit Größe begegnen. Denn die Geschichte in "Gangs of New York" erzählt von der Frühzeit jener Nation, die heute glaubt, die Welt zu besitzen. Mitte des 19. Jahrhunderts war dieses Land in erster Linie noch mit sich selbst beschäftigt - mit der Abschaffung der Sklaverei, mit Bandenkriegen und Mord auf offener Straße. Zumindest letztes hat sich bis heute nicht geändert und auch sonst ist die Gegenwart Amerikas nach wie vor stark mit seiner Vergangenheit verknüpft.

Martin Scorsese nahm sich also der verantwortungsvollen Aufgabe an und erzählt Ashburys Geschichte, wie Amerika erwachsen wurde: Von rivalisierenden Gangs in New York, die an dem neuralgischen Stadtknoten "Five Points" ihre Kämpfe um die Vormachstellung im Viertel führen. Dass einer der Bandenchefs (Liam Neeson) durch den Dolch des gefürchteten "Bill the Butcher" (Daniel Day-Lewis) beim Straßenkrieg fällt, erweckt in seinem zurückgebliebenen Jungen tiefe Hass- und Rachegefühle. Als junger Mann kehrt er in Gestalt von Leonardo DiCaprio zur Stätte seiner Wurzeln zurück, um den Tod seines Vaters zu rächen und "Bill the Butcher" zu schlachten. So einfach, so gut. Was in den zweieinhalb Stunden dazwischen passiert, ist bemühte Milieuschilderung, ist Liebesaffäre, ist Actionspektakel und Historienfilm. Martin Scorsese baute das New York des 19. Jahrhunderts in den römischen Cinecittà-Studios neu auf und schwelgt gemeinsam mit seinem liebsten Kameramann, dem Deutschen Michael Ballhaus, in effekt- und kraftvollen Bildern einer vergangenen Zeit. Die Kamera steht dabei, wie es für Ballhaus üblich ist, in keiner einzigen Einstellung still, ist immer in Bewegung, ebenso wie die rastlosen, von Liebe, Wut oder Verzweiflung getriebenen Protagonisten.

Dass Scorsese mit Regie-Preisen für "Gangs of New York" überhäuft wurde (so auch mit dem Golden Globe), ehrt den großen Regisseur für eine handwerklich perfekte, saubere Arbeit. Mehr ist "Gangs of New York" leider nicht. Der amerikanischste aller amerikanischen Filme ist Scorsese nicht gelungen - den hat er schon mit "Taxi Driver" vorgelegt. Doch gescheitert ist Scorsese nicht an seinem Liebkind "Gangs of New York". Gescheitert wäre er nur, hätte er diesen Film nicht gemacht.

GANGS OF NEW YORK

USA/D/I/GB/NL 2002. Regie: Martin Scorsese. Mit Leonardo DiCaprio,

Daniel Day-Lewis, Cameron Diaz, Jim Broadbent, Liam Neeson. Verleih:

Twentieth Century Fox. 166 Min.

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