Speer und er - © ORF/FALKE

"Speer und Er": Tücke Dokudrama

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Nach dem Kinoerfolg "Der Untergang" machten sich nun ARD und ORF mit "Speer und Er" an eine relativierende Trauerarbeit.

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Nach dem Kinoerfolg "Der Untergang" machten sich nun ARD und ORF mit "Speer und Er" an eine relativierende Trauerarbeit.

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Am Filmprojekt "Der Untergang", das im letzten Herbst in die Kinos kam, war grundsätzlich fragwürdig, dass ein Szenarium dargestellt wurde, das nur spekulativ und voyeuristisch interessieren kann. Dazu wurden soldatische Qualitäten wie Ehre und Treue nicht gebrochen sondern affirmativ mitverstanden - Versatzstücke nazistischer Gesinnung: Selbst im Bunker der letzten Getreuen gab es die relativ Guten. Albert Speer gehörte zu ihnen.

Warum Speer?

Jetzt also - als Fortsetzung?- Speer und Adolf Hitler - unakzeptabel überhöht mit eh-schon-wissen-ER bezeichnet. Nach dem virtuosen Stimmen- und Gestenimitator Bruno Ganz interpretiert Tobias Moretti den Diktator als Rolle und nicht als Bauchredner, wodurch seine Darstellung auch eine gewisse Normalisierung (und Modernisierung) der Karikatur gewinnt. Dient das der Wahrheitsfindung?

Warum Speer? Warum gelingt diesem Mann postum noch einmal ein solcher Medienauftritt? Nein, er wird nicht als Schreibtischtäter analytisch seziert, als einer, der selbst nach belegter Aufdeckung seiner Verbrechen die Öffentlichkeit blendet. Wird hier nicht zum Jubiläum des Kriegsendes auch vorgeführt, wie Vergangenheit nachhaltig bewältigt werden könnte? Wird es nicht glaubhafter "nichts gewusst zu haben", wenn selbst Schlüsseltäter sich ihrer eigenen Anweisungen öffentlich nicht erinnern? Selbst die Zweifel, die im vierten Teil ausgeräumt werden, atmen eine respektvolle Distanz zu diesem Mann - unterlegt durch schwere "ernste" Musik, die schon in Joachim Fests "Hitler - eine Karriere" so irritierend war. Die Aufdeckung in "Das Nachspiel: die Täuschung" - wird weniger ins Bewusstsein der Zuschauerinnen und Zuschauer dringen, als die 20 Jahre Haft in Spandau. (Auch, weil der vierte Teil spät nachts nachgereicht und im orf überhaupt nicht gesendet wurde.)

Warum Speer? Die Lebensgeschichte jedes einzelnen Opfers wäre interessanter oder die Demonstration der Doppelgesichtigkeit von Journalisten und Historikern, die sowohl für die Fiktion als auch für die "dokumentarische" Recherche als Quelle dienen.

Beide Bearbeitungen des Faszinosums Nationalsozialismus lassen Frauen weitgehend aus. In "Der Untergang" kommen sie als Groupies oder Hysterikerinnen vor. Frau Speer schweigt. Die Aussagen der Speerkinder sind allerdings das Interessanteste an Heinrich Breloers Film: Wie lebt die Nachkriegsgeneration mit ihren Vätern? Aber auch diese Geschichte wird nicht wirklich erzählt.

Relativierendes Nachspielen

Trauerarbeit wird durch relativierende Unschärfen ersetzt. Dokudramen benutzen eine Mnemotechnik, die Facetten der historischen Recherche zusammenfasst - Erinnerungen, Lektüre, Bilder, Dokumente - und sie zu einem Lebens- und Epochenbild glättet, das medientaugliche Antworten präsentiert. Immer sind die dokumentarischen Passagen interessanter, spielt sich der "richtige" Speer genauer, subtiler als es etwa Sebastian Koch in seiner Rolle gelingen kann. Alle realen Ausschnitte vom Nürnberger Prozess sind ungleich informativer als ihre aufwendige Nachstellung. Die fiktionalen Teile stecken das dokumentarische Material mit ihrer Harmlosigkeit an. Das Auge konzentriert sich auf den Abgleich von Äußerlichkeiten. Zur Analyse des Quellenmaterials kommt es dann nicht mehr. Die mediale Darstellung historischer Personen ist zum großen Teil immer schon fiktionalisiert und kann "Wahrheit" nur behaupten.

Motivationen und Aufgaben dokumentarischen Arbeitens - Aufklärung, Analyse, Transparenz - sind ausgehebelt: Im Dokudrama wird durch Schnitt-Techniken Tautologisches behauptet: So war es wirklich. Szenen, für die es keine Belege gibt, werden unzulässig mit "Wahrheit" affiziert. Es ist beunruhigend, dass die Methoden des Dokudramas bei Darstellungen von Geschichte zum Standard zu werden drohen.

Gefahr für Rossellini

Es gibt (fiktive) filmische Alternativen: Roberto Rossellini schuf 1946 in der letzten Episode von "Paisa" eine glaubwürdige "Nachstellung" der Kämpfe zwischen Partisanen, Alliierten und der deutschen Wehrmacht. Zur Feier 60 Jahre Kriegsende war auf Arte auch sein "Deutschland im Jahre Null" zu sehen, Berlin als Resultat des Untergangs.

Es ist durchaus vorstellbar, dass Rossellinis Szenen in Zukunft in Dokudramen als belegte Realität vorkommen, wie Leni Riefenstahls Nürnberger Parteitagskulisse (im Design des so begabten Albert Speer) in jeder Dokumentation des Nationalsozialismus.

"Speer und Er" von Heinrich Breloer ist sicher das seriösere Projekt, aber gerade auch deswegen ist die Medienakzeptanz der pseudo-analytischen Methode des Dokudramas beängstigender als das vordergründige laute Gröhlen und Tümeln des "Untergangs".

Die Autorin lehrt Filmgeschichte an der Wiener Filmakademie und ist Intendantin des österreichischen Filmfestivals "Diagonale".

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